Kennen Sie das auch? Da gibt es manchmal Tage, da weiß man schon beim Aufwachen, ehe man überhaupt aus dem Bett gekrochen ist, dass der Tag nicht zu den unbedingt besten Tagen des Lebens gehören wird. Da ist schon die eigene Stimmung von Anfang an nicht besonders positiv. Man hat schon mit dem Aufstehen das Gefühl, alles was ich heute anfasse, geht schief. Das ist heute kein Tag, an dem ich einen Weltrekord laufe oder einen Eintrag ins Guinnessbuch der Rekorde bekomme. Am liebsten würde ich heute im Bett bleiben, mich wieder umdrehen und die Bettdecke über den Kopf ziehen.
Solche Tage oder Situationen hat sicher jeder von uns schon erlebt.
Vielleicht hat man auch einen superguten und erfolgreichen Tag gehabt. Da ist alles gelaufen, wie man sich das vorgestellt hat oder sogar noch besser. Doch dann kommt eine Nachricht, die einen umhaut, die all diese Hochstimmung zunichtemacht. Eigentlich kann einen doch nach einem erfolgreichen Tag nicht so leicht etwas umhauen, doch manchmal liegt eben das Tief ganz dicht neben dem Hoch im Leben.
Oder man stürzt wirklich in eine richtig tiefe Depression in seinem Leben. Davon weiß der Comedian Kurt Krömer in seinem Buch “Du darfst nicht alles glauben, was du denkst: Meine Depression” zu berichten. Da schreibt er: „Die Anzeichen für Depression sind absolute Schwermut und Antriebslosigkeit – du hast keine Emotionen mehr. Mir hätte einer sagen können: ‚Du hast eine Million im Lotto gewonnen!‘ und ich hätte gedacht: ‚Na scheiße, jetzt muss ich extra dahin fahren und alles abholen'“.
Das ist auch beim Glauben an Gott so, da hat man eben große Dinge im Glauben erlebt: einen wunderschönen Gottesdienst, ein schönes Gemeindefest, einen Kirchentag, die Gemeinschaft mit anderen Christen oder was auch immer und ist freudig erfüllt und möchte glauben. Und dann ist Montag, dann ist Alltag, dann kommen sie wieder, die Momente der Zweifel, der Fragen und der Anfechtung. Vielleicht sogar in diesen Tagen besonders stark, wenn vor unserer Haustür in Europa Menschen Menschen sinnlos töten und viele auf der Flucht sind.
Nun stehen wir mit solchen depressiven Erfahrungen, Erfahrung des Burnout, nicht allein, sondern das erleben sogar Menschen aus der Bibel so. Einen möchte ich Ihnen heute vorstellen, denn bei ihm wird es in besonderer Weise deutlich. Sein Name war Elia. Opernfreunde kennen ihn vielleicht aus Mendelssohns Oratorium Elias.
Elia ist ein einsamer Kämpfer in seiner Zeit. Er ist ein unerbittlicher Kritiker der Missstände in seinem Land, dem Königreich Ahabs. Und Elia macht keine halben Sachen. Für Elia gibt es keinen Unterschied zwischen seiner Arbeit und seinem Leben. Einmal nimmt er es in einer gewaltigen Anstrengung mit Hunderten von Gegnern auf, die das Volk zu einer heidnischen Frömmigkeit, zur Anbetung des Götzen Baal führen wollen. Es ist ein wahrer Kampf zwischen den Priestern dieses heidnischen Götzen Baal und dem Propheten Jahwe dem Elia auf dem Berg Karmel. Und Elia siegt.
Doch dann reicht ein einziger kleiner Tropfen, um das Fass zum Überlaufen zu bringen: Es sind ein paar wenige Drohworte. Die Königin, eine gewisse Isebel, trachtet ihm nach dem Leben. Sie hasst Elia aus Herzensgrunde und schwört, nicht eher zu ruhen, bis er tot ist.
Ich lese einmal dem Abschnitt aus dem Buch 1. Könige 19,1-81
1 Ahab erzählte Isebel alles, was Elija getan hatte – auch dass Elija alle Propheten des Baal getötet hatte.
2 Daraufhin schickte Isebel einen Boten zu Elija und drohte ihm: »Die Götter sollen mir antun, was immer sie wollen, wenn ich deinem Leben nicht ein Ende setze! Morgen um diese Zeit soll es dir ergehen wie den Propheten, die du getötet hast!«
3 Da geriet Elija in große Angst. Er sprang auf und lief um sein Leben. So kam er nach Beerscheba an die Grenze von Juda. Dort ließ er seinen Diener zurück.
4 Er selbst ging noch einen Tag lang weiter – tiefer in die Wüste hinein. Dann setzte er sich unter einen Ginsterstrauch und wünschte sich den Tod. »Es ist genug!«, sagte er. »Herr, nimm mir doch das Leben! Denn ich bin nicht besser als meine Vorfahren.«
5 Schließlich legte er sich hin und schlief unter dem Ginsterstrauch ein.Plötzlich berührte ihn ein Engel und forderte ihn auf: »Steh auf und iss!«
6 Als Elija um sich blickte, fand er etwas neben seinem Kopf: frisches Fladenbrot und einen Krug mit Wasser. Er aß und trank, dann legte er sich wieder schlafen.
7 Doch der Engel des Herrn erschien ein zweites Mal. Wieder berührte er ihn und sprach: »Steh auf und iss! Denn du hast einen weiten Weg vor dir!«
8 Da stand Elija auf, aß und trank und ging los. Durch das Essen war er wieder zu Kräften gekommen. 40 Tage und 40 Nächte war er unterwegs, bis er den Horeb, den Berg Gottes, erreichte.
Das war doch ein toller Tag, was Elia da auf dem Karmelberg mit Gott erlebt hatte. Gott hatte sein Opfer angenommen. Er hat den Menschen seine Größe und Macht gezeigt. Das Töten der vielen Priester durch Elia ist für uns vielleicht abstoßend, aber das war damals so.
Elia war sozusagen auf einem Höhepunkt im Glauben und Vertrauen mit Gott. Er hat einen Sieg erlebt, der ohnegleichen war. Doch dann kam er eben, dieser Racheschwur der Isebel, aus heiteren Himmel. Statt klein beizugeben, hat sie die Tat des Elia noch mehr angestachelt, dem Elia jetzt nach dem Leben zu trachten.
Und Elia nahm den Racheschwur von Iselbel sehr ernst. Er floh, um sein Leben zu retten. Er lief so schnell wie es ging, ohne Rast und Pause. Die Angst um sein Leben hat ihn gepackt. Ohne langes Überlegen floh er so schnell wie möglich.
Er lief ins Nachbarland – aus dem Einflussbereich der Isebel hinaus. Die Erfahrungen, die er gerade erst mit Gott in so eindrucksvoller Weise gemacht hatte, spielten jetzt überhaupt keinen Rolle mehr. Sie waren, wie ausgeblendet aus seinem Denken. Er sah nicht mehr Gott, sondern starte wie das hypnotisierte Kaninchen auf die todbringende Schlange.
Und Elia flieht noch weiter. 32 km in die Wüste hinein. Dort bricht er unter einem Ginsterstrauch zusammen. Er war ausgebrannt – Burnout.-
Wo kommt überhaupt der Begriff Burnout her? Ausgebrannt, am Ende, mühselig und beladen, zutiefst erschöpft, das sind auch heute immer mehr Menschen. Der Begriff stammt übrigens aus der Kerntechnik. Burnout, ist eigentlich eine „Bezeichnung für das Durchbrennen von Brennelementen bei Kernreaktoren infolge zu hoher Wärmeentwicklung“. Zu wenig Kühlung, zu viel Hitze, und irgendwann brennt die Brennstoffumhüllung einfach durch.
Burnout! Übertragen auf unser Erleben und Empfinden: kaum noch Kühlung, zu viel Erhitzung, kaum noch Ruhe, zu viel Druck, kaum noch Energiezufuhr, zu viel Energieverbrauch. Das Leben schreibt rote Zahlen. Bis das Leben zwangsweise still steht und nichts mehr geht.
Elia wünscht sich jetzt noch zu sterben. Zu dem Gott, dem er diente, ruft er in letzter Verzweiflung: “Es ist genug, nimm jetzt meine Seele, lass mich sterben, ich bin auch nicht besser als meine Väter.”
Vor lauter Erschöpfung und Verzweiflung schläft er ein. Was lernen wir: Die Menschen in der Bibel kennen das, sie wissen, wie es denen zumute ist, die ausbrennen. Wir dürfen vermuten, dass Gott selbst es weiß, wie es denen zumute ist, die ausbrennen.
Hier sehen wir, wie ehrlich die Bibel ist. Von den Glaubenshelden werden nicht nur die Glaubenssiege aufgezeichnet, sondern auch ihre Niederlagen, ihre Schwächen, Ängste und Anfechtungen.
Elia, vor dem hat gerade ganz Israel gezittert hat. Er war eben einsam und furchtlos im Namen Gottes vor den König getreten, um diesem seine Schuld und sein Versagen vorzuhalten. Jetzt läuft er um sein Leben. Er läuft getrieben von der nackten Angst vor Isebel, der Frau des Königs.
Er läuft nicht nur einfach ins Nachbarland, ins Südreich, das lag schon außerhalb des Machtbereiches des Ahab. Nein er versteckte sich in der Einsamkeit der Wüste. Zuerst sagt er zu Gott „Ich kann nicht mehr“ und jetzt wurde daraus ein „Ich will nicht mehr“.
Die Einsamkeit der Wüste sollte ihn behalten. Sterben war jetzt seinen Sehnsucht und darin Frieden finden. Sein Sterben verhieß ihm die ersehnte Ruhe. Endlich nicht mehr kämpfen müssen. Endlich nicht mehr gejagt werden. Endlich nicht mehr getrieben werden, diesen Weg gehen zu müssen. Elia war an dem Punkt, wo er mit seinem Glauben und mit seinem Leben am Ende war. Hier sind die Anfechtungen stärker als der Glaube.
Wem es von uns mit seinem Glauben auch so geht, der darf wissen: Er ist damit nicht allein, schon solche “Glaubensväter” wie Elia hatten damit zu kämpfen.
Elia zeigt uns, dass glaubende Menschen auch nicht von vornherein immun und geschützt sind gegen Depressionen, Anfechtungen und Zweifel. Manchmal habe ich sogar das Gefühl, dass es bei ihnen besonders deutlich wird. Ich sage sogar: Glaube und Zweifel sind zwei Seiten einer Medaille. Ein Christ, der glaubt, muss auch Momente des Zweifels haben.
Da sitzt Elia nun unter dem Ginsterstrauch, weit weg von jeglicher Zivilisation mitten in der Wüste und spricht zu Gott: »Ich bin nicht besser als meine Väter!« Was hat Elia damit gemeint, müsste er wirklich besser als seine Väter sein? Vielleicht war Elia über seinen zerbrochenen Glauben erschrocken. Er war erschrocken darüber, dass er so kopflos handelte und geflohen war? Die Wüste ist ein gefährlicher Ort, vor allem, wenn man sie allein aufsuchte, wie Elia. Braucht man nicht in der Wüste erst recht Menschen, die mitgehen? Warum wollte er an diesem Ort so einsam sein? Nun, er wollte sterben.
Aber gerade in solchen Situation ist es verkehrt allein und einsam zu sein. Da braucht man den Beistand der Freunde. Und Gott ließ Elia nicht allein.
So einsam Elia auch war im Schatten des Ginsterstrauches, und vielleicht auch menschlich gesehen fast zu spät, dennoch gottverlassen war Elia nicht. Gott ließ den Todesschlaf nicht zu. Gott hat Elia nicht im Stich gelassen. Wie aber hat er ihm geholfen? Die alte Geschichte erzählt es so: Elia hat erst einmal im wörtlichen Sinn Abstand hergestellt. Abstand zu seinen dauernden Pflichten. Abstand zur Arbeit. Abstand zur Bedrohung.
Die Bremer Stadtmusikanten haben es vorgemacht: Lasst uns nach Bremen gehen. Etwas Besseres als den Tod finden wir überall. Elia geht, nicht nach Bremen, aber an einen stillen, einsamen Ort. Und Gott beordert ihn nicht zurück. Es ist in Ordnung. Abstand ist gut.
Zunächst einmal aber durfte Elia schlafen, sich in seiner Müdigkeit fallen lassen. Es war aber kein Schlaf zum Tode, sondern es war ein Schlaf zum Leben. Er stärkte ihn. Es waren da Kleinigkeiten, die dann Gott dem Elia zukommen ließ, aber Kleinigkeiten, die den Körper und das Leben stärkten: Brot und Wasser und die Zuwendung Gottes. Mehr war nicht nötig.
Wie sagt das Sprichwort: “Essen und Trinken hält Leib und Seele zusammen”. Es stimmt zwar nicht immer, aber hier schon. Irgendwie gehört zur inneren Stärkung auch die äußere Stärkung.
Gott kritisiert nicht, nörgelt nicht, hat keine guten Ratschläge. Und Elia verschmähte die Gaben seines Gottes nicht.
Gott, der Schöpfer, will es so und hilft gerade so dem Erschöpften. Gott nimmt sich Zeit. Er nimmt sich Zeit für Elia. Er hat Zeit, auch mit seinen Mitarbeitern.
Und dann geht diese Geschichte weiter. Elia muss nicht auf direkten Weg zurück in den Kampf und es verändert sich dann seine Aufgabenstellung. Er bekommt neue Mitstreiter.
Erst einmal zieht Elia weiter, er nimmt sich noch eine weitere Auszeit und macht eine lange Wanderung, sozusagen geht er auf eine Pilgerung, wie mancher heute nach Santiago de Compostela pilgert. Auf dieser Pilgerung kann er dann irgendwann über die Dinge reden, auch mit Gott, in aller Stille, in einem langen Zwiegespräch. Da kann er es sich von der Seele reden, all diese Last und das immer zu Viele. Ich habe so gekämpft. Ich bin so enttäuscht, so allein, so ausgelaugt. Vor Gott darf man so klagen und fragen, wenn man am Ende ist. Aber wir sollen auch wissen: Selbst dann, wenn Menschen längst nicht mehr an ihrem Gott festhalten können, hält Gott sie noch fest und hält er an ihnen fest.
Die die pilgern, sagen auf so einem Weg wird man verändert, selbst wenn man nicht an Gott glaubt. Ja mancher findet auf einmal den Glauben an Gott.
Das Ziel der Wanderung von Elia ist der Gottesberg – der Horeb oder Sinai, der Berg, wo Mose für das Volk Israel die 10 Gebote erhielt. Am Gottesberg hat er dann noch eine besondere Gottesbegegnung.
Nach dieser besonderen Gottesbegegnung wird Elia neu beauftragt. Gott stellt Elia einen zweiten Mann an die Seite, einen Mitarbeiter und Freund. Er gibt ihm einen neuen, aber klar begrenzten und befristeten Auftrag. Elia, das sollst du tun, das, nicht mehr und nicht weniger. Drei überschaubare Aufgaben sind es, die Elia dann bekommt. Elia lernt, in seinen Grenzen zu tun, was ihm aufgetragen ist. Nicht mehr grenzenlos muss er wirken. Gott hilft ihm, Grenzen zu setzen. Gottes Weisungen sind immer begrenzt.
Gerade bei dem Propheten Elia sehen wir, wie man aus dem Burnout herauskommt, und selbst für die, die nicht an Gott und Jesus glauben, kann diese Geschichte des Elia dafür hilfreich sein.
Manchmal ist es eine scheinbar zufällige Begegnung mit einem anderen Menschen, in der Gott zu uns spricht, die ganz unbeabsichtigt zu einer seelsorgerlichen Begegnung wurde. Ein andermal ist es ein Bibelwort oder eine kleine Besinnung, die uns anspricht, die uns aus der Tiefe herausholt und uns eine neue Sicht und neue Hoffnung eröffnet. Auch unsere Gottesdienste geben uns die Chance, so von Gott angesprochen zu werden. Manche unter uns können von außerordentlichen Erfahrungen mit Gott berichten, von sehr eindrücklichen Fingerzeigen Gottes auf ihrem Weg.
Für Elia war es der Horeb, wo sich Gott finden ließ, wo er auf seine Klagen am Ende Antwort fand. Für uns als Christen ist Golgatha der Gottesberg, der Ort wo Gott sich in einer einzigartigen Weise von uns erkennen und finden lässt. Der Christus am Kreuz ist zwar keine erschöpfende Antwort auf alle unsere Lebensfragen und vielleicht auch auf die Frage, die uns alle umtreibt: “Wie kann Gott den Krieg in der Ukraine zulassen?” , aber eindeutig darin, dass wir auch im Leiden nicht einsam und allein sind. Denn Jesus, unser Bruder, ist uns auch da ganz nahe, so wie Gott einem ratlosen und verzweifelten Elia nahe war. Und die Nähe unseres Herrn wird genügen, um auch viele unbeantwortete Fragen auszuhalten und zu ertragen.
Elia bekam von Gott einen neuen Auftrag. Auch in dieser neuen Beauftragung finden wir etwas von dem gnädigen Festhalten Gottes an uns verzagenden und versagenden Menschen. Wenn wir meinen, alles sei aus, dann erweist Gott seine Kraft gerade in den Schwachen, dann nimmt er schwache Menschen neu in seinen Dienst.
Elia erlebte dann auch, dass er entlastet wurde. Gott hatte bereits einen Nachfolger für ihn ausgewählt. Gott packt also nicht einfach immer nur auf die Menschen drauf, bis einer unter der Last nicht mehr kann.
Gott entlastet auch. Er gibt nicht mehr zu tragen auf, als was wir tragen können.
Elia hatte lange Zeit geglaubt, er sei der Letzte, der Gott die Treue gehalten habe. Wenn er tot wäre, dann gäbe es niemanden mehr. Wahr daran war, dass es nicht viele waren. Aber Gott wusste immerhin um 7000 Leute, die treu geblieben waren.
So einsam, wie Elia immer geglaubt hatte, war er gar nicht. 7000 waren ebenfalls standhaft geblieben und hatten dem Gott Baal nicht gedient. Auch heute sind wir Christen eine Minderheit. Und wir kennen Beispiele, wo Christen deshalb in großer Einsamkeit ihren Weg gehen müssen: in der Schulklasse, im Betrieb, in der eigenen Familie oder in Ländern, in denen sie keine Glaubensfreiheit haben.
Doch auch heute gilt: Es sind mehr, als wir oft denken, die sich an Jesus Christus festhalten und die von ihm gehalten werden. Wir sind in eine große, weltweite Gemeinschaft von Schwestern und Brüdern gestellt, unterwegs zum gleichen Ziel. Amen