„Siehe, dein König kommt…“

Herr, gib uns ein Wort für unser Herz, und ein Herz für dein Wort. Amen.

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen!

Liebe Gemeinde,

»Es wird regiert«, so sagt es der Theologe Karl Barth am Vorabend seines Todes vor 56 Jahren in einem Telefonat zu seinem Freund Eduard Thurneysen. »Ja, die Welt ist dunkel. Nur ja die Ohren nicht hängen lassen! Nie! Denn es wird regiert, nicht nur in Moskau oder in Washington oder in Peking, sondern es wird regiert, und zwar hier auf Erden, aber ganz von oben, vom Himmel her! Gott sitzt im Regimente! Darum fürchte ich mich nicht. Gott lässt uns nicht fallen, keinen einzigen von uns! Es wird regiert!« Und das gilt auch heute. Darum gelten genau diese Worte auch uns heute, die wir in einer Zeit von politischen und gesellschaftlichen Spannungen leben. Es gilt: Wo der König Jesus regiert, steht der Lauf unserer Welt in Gottes Hand. Darum auch der Wochenspruch aus dem Buch des Propheten Sacharja: „Siehe, dein König kommt zu dir, sanftmütig und reitet auf einem Esel.“ So beschreibt dieser das Kommen des Messias. Kein König im prunkvollen Ornat, keine Streitwagen oder goldene Kutschen begleiten ihn, sondern Sanftmut und Demut sind seine Zeichen. Und genau diesem Bild begegnen wir im Evangelium, das uns heute auf den Beginn des Advents einstimmt. Hören wir nun, wie sich diese Prophezeiung erfüllt, als Jesus in Jerusalem einzieht.

Wir lesen Matthäus 21,1-11

Matthäus 21,1–11 LU17

1 Als sie nun in die Nähe von Jerusalem kamen, nach Betfage an den Ölberg, sandte Jesus zwei Jünger voraus 2 und sprach zu ihnen: Geht hin in das Dorf, das vor euch liegt. Und sogleich werdet ihr eine Eselin angebunden finden und ein Füllen bei ihr; bindet sie los und führt sie zu mir! 3 Und wenn euch jemand etwas sagen wird, so sprecht: Der Herr bedarf ihrer. Sogleich wird er sie euch überlassen. 4 Das geschah aber, auf dass erfüllt würde, was gesagt ist durch den Propheten, der da spricht : 5 »Sagt der Tochter Zion: Siehe, dein König kommt zu dir sanftmütig und reitet auf einem Esel und auf einem Füllen, dem Jungen eines Lasttiers.« 6 Die Jünger gingen hin und taten, wie ihnen Jesus befohlen hatte, 7 und brachten die Eselin und das Füllen und legten ihre Kleider darauf, und er setzte sich darauf. 8 Aber eine sehr große Menge breitete ihre Kleider auf den Weg; andere hieben Zweige von den Bäumen und streuten sie auf den Weg. 9 Das Volk aber, das ihm voranging und nachfolgte, schrie und sprach: Hosianna dem Sohn Davids! Gelobt sei, der da kommt in dem Namen des Herrn! Hosianna in der Höhe! 10 Und als er in Jerusalem einzog, erregte sich die ganze Stadt und sprach: Wer ist der? 11 Das Volk aber sprach: Das ist der Prophet Jesus aus Nazareth in Galiläa.

Mit diesen Worten beginnt eine Vision, die uns Advent für Advent neu entgegenleuchtet. Aber was haben wir für Bilder vor Augen, wenn wir von einem König hören? Denken wir nicht an prächtige Krönungszeremonien, wie sie uns aus der Geschichte oder der Gegenwart bekannt sind? Die Könige dieser Welt kommen in goldenen Kutschen, fahren in Luxuskarossen, ihre Paläste schimmern vor Reichtum. Wir denken an prachtvolle Paraden und jubelnde Menschenmassen.

Doch hier heißt es: „Siehe, dein König kommt…“ Und die Bilder sind ganz anders: Ein Mann auf einem Esel. Zwölf einfache Männer begleiten ihn zu Fuß. Keine Goldkutsche, keine Fanfaren, keine Menschen mit Samt und Seide. Ein seltsamer König. Kein Palast wartet auf ihn. Nur eine Menschenmenge mit Palmzweigen in den Händen, jubelnd: „Hosianna dem Sohne Davids! Gelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn!“

Und doch ist dieser König “der König der Könige”, der Herr aller Herren.

Wenn die Herrscher dieser Erde prunkvoll ihre Macht zur Schau stellen – wie müsste dann erst der Einzug Jesu aussehen? Würde nicht die ganze Schöpfung jubeln? Sollten nicht die Sterne vom Himmel tanzen, die Berge sich neigen, und alle Kreatur rufen: „Hosianna in der Höhe!“?

Aber hier ist alles so anders:

„Dein König kommt zu dir, er ist sanftmütig und reitet auf einem Esel, auf einem Fohlen, dem Jungen eines Lasttiers.“

Ein König ohne Hofstaat. Ein König ohne Soldaten. Ein König, der keinen Thron besteigt, sondern auf einem Esel reitet – und dieser Esel gehört ihm nicht einmal.

Ein flüchtiges Hosianna

Die Menschen jubeln. Palmzweige und Kleider bedecken den Weg, den er entlang reitet. Sie rufen ihm zu: „Hosianna!“ – „Hilf doch! Hosianna! Gelobt sei, der da kommt in dem Namen des Herrn!“ Sie erkennen ihn als den Sohn Davids, als den Messias, der ihre Hoffnungen erfüllen soll. Die Leute sind außer sich vor Freude. Endlich ist er da, ihr langersehnter Retter.

Es ist doch Jesus als König, wie wir ihn in unseren Liedern besingen, ein starker König. Jesus ein König, der 5000 Menschen speist. Jesus ein König, der große Sünderinnen aus dem Staub hebt und bösen Finanzspekulanten wie Zachäus ein anderes Leben beibringt. Jesus ein König, der Kranke heilt und Tote auferweckt. Der siegreiche Jesus. Jesus ein König, der über das Wasser geht. Jesus ein König, dem kein Problem zu schwer ist.

Doch dieser Jubel ist flüchtig. Denn wissen, wie die Geschichte weitergeht: Da ist noch der Karfreitags-Jesus. Und schon bald werden dieselben Menschen schreien: „Kreuzige ihn!“ Was ist geschehen? Warum dieser Umschwung von Hosianna zu Hass?

Die Antwort liegt in den enttäuschten Erwartungen.

Die Menschen hatten einen Messias erwartet, der mit Macht auftritt. Einen König, der das römische Joch abschüttelt, der die Besatzer mit dem Schwert aus dem Land treibt. Sie wollten einen Befreier, der Israel in alter Größe und Herrlichkeit wiederherstellt – wie zurzeit König Davids.

Aber da sitzt er, auf einem Esel. Kein Heer, keine Waffen, keine Drohungen. Die Menschen erkannten bald: Dieser König war nicht der, den sie sich vorgestellt hatten. Und was macht man mit Königen, die ihre Aufgabe nicht erfüllen? Man setzt sie ab. Man vernichtet sie.

So schlug der Jubel um in Verachtung. Der sanftmütige König auf dem Esel passte nicht in ihr Bild. Dieser König musste weg. Ans Kreuz mit ihm.

Und wir?

Heute fragen wir uns: Was erwarten wir von diesem König? Wie sieht der König aus, den wir willkommen heißen wollen?

Möchten wir nicht auch jemanden, der unsere Probleme mit einem Schlag löst? Einen starken Helfer, der uns gegen alle Bedrückung verteidigt, der alle Schwierigkeiten fortfegt?

Sagen wir nicht manchmal insgeheim: Wenn er doch kommen würde – mit Macht, mit Glanz, mit Donner und Stärke. Wenn er die Mächtigen dieser Welt stürzte, die uns das Leben schwer machen. Wenn er denen, die uns Unrecht tun, endlich zeigt, wo der Hammer hängt.

Aber dann hören wir wieder:

„Dein König kommt zu dir, er ist sanftmütig und reitet auf einem Esel.“

Ein König ohne Pomp und Gewalt. Ein König, der nicht zu den Starken gehört, sondern sich mit den Schwachen solidarisiert.

Ist das nicht zu wenig? Ist das nicht zu bescheiden? Ein König auf einem Esel!

Wir fragen uns vielleicht: Kann ein solcher König wirklich etwas bewirken?

Die Macht der Sanftmut

Und doch liegt hier eine gewaltige Wahrheit verborgen: Sanftmut und Liebe haben eine Kraft, die stärker ist als jede Gewalt.

Jesus wählte bewusst diesen Weg. Er kam nicht, um zu zerstören, sondern um aufzubauen. Er verzichtete auf das Schwert, um den Menschen den Frieden zu bringen. Kein Thron aus Gold, sondern das Kreuz war sein Ziel – denn nur so konnte er die Herzen der Menschen erreichen.

Die Macht der Gewalt kann Menschen zwingen, sich zu beugen. Aber nur die Macht der Liebe kann Menschen dazu bringen, ihr Herz zu öffnen.

Ein König, der uns fordert

Dieser König fordert uns heraus. Er zwingt uns, eine Entscheidung zu treffen:

Wollen wir dem sanftmütigen König auf dem Esel folgen, auch wenn sein Weg das Kreuz ist?

Sind wir bereit, die Sanftmut in unser Leben zu lassen und sie an die Stelle von Gewalt, Druck und Macht zu setzen?

Es gibt Menschen, die diesen Weg gehen – und die eine besondere Freude erleben. Denn es macht glücklich, auf Gegengewalt zu verzichten. Es bringt Frieden, ein gutes Wort zu sprechen, wo man selbst angegriffen wird. Es erfüllt, dem zu helfen, der allein nicht weiterkommt.

Ein Beispiel für uns

„Siehe, dein König kommt zu dir, sanftmütig und reitet auf einem Esel.“

Was für eine Eselei ist es, auf Frieden zu hoffen! Ist es nicht so? Ist es nicht ein Eselsglaube, dass sich mit einem gekreuzigten Herrscher die Verhältnisse ändern? Nein, der Glaube an Jesus Christus ist keine Eselei. Für mich ist es eine große Beruhigung zu wissen, dass Gott in Jesus ein Reich etabliert, in dem er selbst den Lauf dieser Welt in seiner Hand hält. Wenn Jesus Christus der Herr ist, der in unser Leben einzieht, dann sind wir in der Hand Gottes geborgen.

Die Wahl des Esels ist kein Zufall. Der Esel ist ein Bild für Demut, Bescheidenheit und Treue. Und in seiner Sanftmut erkennen wir etwas von der Sanftmut Jesu.

Esel werden oft unterschätzt. Man sagt, sie seien dumm, aber in Wahrheit sind sie klug und standhaft. Sie tragen Lasten, ohne zu klagen. Sie leisten treue Dienste, ohne Anerkennung zu erwarten.

Esel sind genügsam. Sie brauchen nicht viel. Noch heute sind sie in ärmeren Ländern die Lasttiere der einfachen Menschen. Dass sie dumm seien, stimmt ganz und gar nicht.

Im Gegenteil, sie sind kluge Tiere und haben Weitblick. Schon in der Bibel wird davon berichtet. Im Alten Testament wird von einem Esel erzählt, der seinen Herrn, Bileam, davon abhält, einen falschen Weg einzuschlagen. Esel sind einfühlsame Tiere.

Und so wie Jesus auf einem Esel in die Stadt Jerusalem ritt, will er auch heute in unsere Welt und in unser Leben kommen. Aber er braucht einen „Esel“, der ihn trägt.

Jesus ist kein König, der sein Reich mit Gewalt aufrichtet. Er setzt sich nicht mit Gewalt durch, er liebt die leisen Töne, ist sanftmütig und freundlich. Keine Soldaten in glänzender Rüstung begleiten ihn, sondern seine Jünger – einfache Männer aus dem Volk. Seine Insignien der Macht sind nicht Zepter noch Schwert. Seine Macht erweist sich darin, dass er sein Kreuz auf sich nimmt.

Advent heißt: Ankunft.

Die Frage ist: Wird dieser sanftmütige König bei uns ankommen?

Bereiten wir ihm den Weg – in unseren Herzen, in unserem Leben. Und dann werden wir erfahren, dass sein sanftmütiger Weg der Weg des Friedens, der Freude und des Lebens ist.

Ich möchte mit einem Gebet schließen, das uns zeigt, wie wir uns auf diesen König vorbereiten können. Es stammt vom lateinamerikanischen Bischof Dom Hélder Câmara:

Herr, lass mich dein Esel sein. Lass mich einer sein, der dich zu den Menschen trägt. Du bist nicht gekommen, um über uns zu herrschen, sondern um uns zu dienen. Du hast die Last der Welt auf dich genommen – und uns von unseren Lasten befreit. Nun wollen wir die Lasten anderer tragen. Lass uns deine Lastesel sein, Herr, auf denen du zu den Menschen kommst. Amen.

Ich wünsche uns allen eine gesegnete Adventszeit, eine gute Vorbereitung auf das Kommen unseres Herrn und die Freude an ihm, dem König, der unsere Herzen will!

Amen.

Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus unserem Herrn. Amen.

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