Wo begegnen uns heute überhaupt noch Schafe und Hirten? Vielleicht noch im Urlaub im Ausland oder in der Lüneburger Heide? In abgelegenen Gegenden, wenn da mal eine Straße abgesperrt wird, dass eine Schafherde sicher über die Straße kommt? Ein Freund von mir war vorige Woche in Mallorca im Urlaub. Da hatte ihm tatsächlich eine Schafherde die Straße versperrt.
Obwohl das Altenburger Land war früher auch einmal ein Landstrich mit vielen Schafen und Ziegen. Aber davon finden wir außer dem Altenburger Ziegenkäse und hier und da ein paar Ziegen und Schafe nur noch recht wenig.
Manchmal hören und lesen wir in den Medien von den Schafen, wenn da ein »Problem-Wolf« die Schafe, vielleicht sogar ganze Teile einer Herde gerissen hat? Und dann erinnern wir uns vielleicht an das Bild vom Hirten, das bei den Urgroßeltern im Schlafzimmer hing, der bei jedem Wetter, mit vielleicht einem Schäflein auf dem Schoss oder auf der Schulter und andere Schafe um sich herum durchs Land zieht.
Heute sind wir hier in Paitzdorf, umgeben von sechs Skudden-Schafen. Es ist eine kurzschwänzige nordischen Heideschafe-Rasse. Sie stammt ursprünglich aus Ostpreußen. Sie ist die kleinste deutsche Schafrasse.
Heute geht es in diesem Gottesdienst um Schafe, aber nicht nur um sie, sondern es ganz besonders um einen Hirten. Es geht um den guten Hirten Jesus Christus- Den Jesus Christus bezeichnet sich in der Bibel selbst als der Gute Hirte. Doch was zeichnet denn einen guten Hirten aus?
Ein guter Hirte ist ja einer, der gut führt und leitet, der sich einsetzt und bereit ist für andere zu opfern. Hören wir einmal, warum Jesus von sich selbst als den Guten Hirten spricht. Wir lesen dazu aus dem Johannesevangelium, Kapitel 10. Jesus spricht über sich:
Johannes 10,11–16 (NLB)
11 Ich bin der gute Hirte. Der gute Hirte opfert sein Leben für die Schafe. 12 Ein Schäfer, der nur für Lohn arbeitet, läuft davon, wenn er einen Wolf kommen sieht. Er wird die Schafe im Stich lassen, weil sie ihm nicht gehören und er nicht ihr Hirte ist. Und so greift der Wolf sie an und zerstreut die Herde. 13 Der bezahlte Arbeiter läuft davon, weil er nur angeworben wurde und die Schafe ihm nicht wirklich am Herzen liegen.
14 Ich bin der gute Hirte; ich kenne meine Schafe und sie kennen mich, 15 so wie mein Vater mich kennt und ich den Vater. Ich gebe mein Leben für die Schafe. 16 Ich habe auch noch andere Schafe, die nicht in diesem Pferch sind. Auch sie muss ich herführen, und sie werden auf meine Stimme hören; und alle werden eine Herde mit einem Hirten sein.
Früher habe ich diese süßen Jesus-Bilder nicht gemocht, die da in den Schlafzimmern eben über den Betten oder in manchen Wohnstuben hingen, aber mittlerweile habe ich sogar etwas für sie übrig. Das macht vielleicht, dass ich älter geworden bin.
Wenn da der gute Hirte mit langem wallendem Haar und sauberer Kleidung, einem Schäflein auf der Schulter und eine Schafherde um sich, durch das Land zieht. Dann denken wir natürlich sofort an Jesus und seine Erzählung vom “Guten Hirten” und wir denken an den Psalm 23. Doch passt dieses Bild überhaupt zur Wirklichkeit eines Hirten damals und erst recht von heute?
Auf jeden Fall hat ja Jesus als der gute Hirte einen Anspruch an sich selbst: gut führen und leiten, sich für den anderen einsetzen und bereit sein, sein Leben für den anderen zu opfern.
Dem gegenüber stellt Jesus das Bild des “Mietlings” oder des bezahlten Leiharbeiters, der so ganz anders sein kann, der eben gerade so seinen Job macht, und nicht bereit ist, sich in Gefahr zu begeben, wie der Hirte, der sich für die Herde verantwortlich fühlt und eben Eigentümer, der Herde ist.
Im Internet finden wir auch Bilder vom “Guten Hirten” unter dem Stichwort „Good shephard“. Nun das sind die süßlichen Jesusbilder, wie sie besonders die Amerikaner lieben. Aber diese Hirtenbilder hier und auch die aus den Schlafzimmern entsprechen nicht mehr oder eigentlich noch nie unserer Lebenswirklichkeit.
Wer einmal durch die Lüneburger Heide oder bis an die Nordseeküste gefahren ist, der kann freilich noch hier und da große Schafherden sehen. Doch die mit Handy, Laptop und Kleintransporter ausgerüsteten Schäfer, die uns viel von den Tieren, mehr aber noch über Schafhaltung und landwirtschaftliche Kalkulation erzählen können, fügen sich auch nicht in unser so idyllisches Bild vom Hirten.
Nur aus einer ziemlichen Ferne, etwa beim Blick aus dem Autofenster im Vorbeifahren auf der Landstraße gelingt es uns vielleicht, die Gestalten, die wir bei den großen Herden zur Linken oder zur Rechten erkennen können, für Hirten zu halten – so wie wir sie uns vorstellen und wünschen. Aus der Nähe betrachtet, verlieren diese Hirten und ihre Herde schnell ihre Beschaulichkeit.
Selten nämlich kann solch ein Hirte nur der traute Geselle sein, dem die Tiere willig folgen und der Tag und Nacht bei ihnen wacht. Inzwischen wachen andere über beide, über Mensch und Tier, die sitzen dann in Ämtern und weit höheren Häusern, und bestimmen mit Gesetzen und Subventionen über das Weh und Ach von Hirt und Herde. Und dann muss bis tief in die Nacht so mancher Hirte über Unbezahltem und Unbezahlbarem wach bleiben und sich vor der Stunde eines anderen Wolfs fürchten. Auch wenn es wieder richtige Wölfe nach Deutschland eingewandert sind, die leider auch schon manches Schaf wieder gerissen haben. Das Bild, welches wir vom Hirten und dieser Idylle haben, hat also nichts mit der Lebenswirklichkeit zu tun.
Und die Schafe: Ja – Schafe sind Tiere. Wunderbare Geschöpfe. Sie sind genügsam, fressen auch noch auf karger Weide. Sie geben Wolle, Fleisch und Milch. Alles super. Nur mit der Orientierung, da hapert es gewaltig. Das Schaf hat vor allem dieses eine Problem: Es hat keinen besonders guten Orientierungssinn. Abseits der Herde und ohne den Hirten ist es hochgradig gefährdet. Darum braucht ein Schaf seinen Hirten. Auch heute.
Der Hirte kann die Gefahren erkennen, die der Herde drohen. Er kann Wölfe bekämpfen, Wunden verbinden, die Weide wechseln. Das alles kann er, weil er mit seinem menschlichen Verstand den Tieren haushoch überlegen ist. Und genau das ist der springende Punkt beim Hirtenbild, diese qualitative Überlegenheit des Hirten gegenüber den Schafen.
Jesus, der gute Hirte
Das nimmt Jesus genau in dieses Bild vom guten Hirten und den Schafen auf und ruft uns darum in seine Nachfolge.
Auch heute preisen sich in den Medien, egal ob im TV, in der Presse, der Werbung, im Internet, in der Politik oder auch auf der Straße viele als Hirten an, die uns Menschen in besonderer Weise leiten wollen. Gerade in der vergangenen Corona-Pandemie haben wir das ganz besonders extrem erlebt. Da wurde es uns dann richtig wirr im Kopf und mancher wusste am Ende nicht, was vorn und hinten oder was richtig und falsch war. Da wurde manche falsche Meldung als Wahrheit verkauft und manches Richtige wurde als Betrug dargestellt. Da stellt sich schnell die Frage: „Welchem dieser Hirten kann man sich wirklich anvertrauen, wenn Menschen sich dem Menschen gegenüber solche Aufgaben anmaßen?
Wie so ein Vertrauensverlust aussieht, das durchleben und durchleiden wir gerade in unserer Politik und unserer Gesellschaft ganz extrem. Wer weiß denn noch was richtig oder falsch ist?
Politiker, die leiten sollen, erweisen sich als im biblischen Sprachgebrauch als Mietlinge oder Lohnarbeiter, die das ihre suchen. Aber auch in der Kirche erleben viele solche extremen Enttäuschungen.
„Ich bin der gute Hirte“, was wie eine schnelle überhebliche Antwort klingt, erklärt dieser eine Hirte sogleich und ganz konkret: „Der gute Hirte lässt sein Leben für die Schafe.“ Und sogleich ist er selbst das Lamm, das zur Schlachtbank geführt wird.
Wir kommen gerade von Ostern her – da haben wir besonders den Karfreitag im Blick – Jesus hat sein Leben geopfert. Wir müssen den guten Hirten nicht suchen, sondern er hat sich uns vorstellt. Er hat sein Leben für uns geben. Er hat sich keine Menschen herangezogen, die ihm genehm sein konnten und müssen und die ihm auf seinen Befehl Kadavergehorsam leisten.
Er lädt uns zur Nachfolge ein
Nein, er lädt ein. Er lädt zu seiner Nachfolge ein. Und wer ihm wirklich folgen will, der lässt alles stehen und liegen, und folgt ihm nach. So wie es damals auch seine Freunde gemacht haben und wie es durch die Jahrtausende hindurch immer wieder Menschen gemacht haben.
Aber erst einmal hat sich der Hirte in die Hände derer begeben, denen er selber nicht genehm war, und dahin mochte und konnte auch keiner seiner Freunde mehr folgen. Und doch: denen, die ihn in seinem Sterben allein ließen, hat er selber die Treue gehalten und wird sie zu seinem Vater führen. Er hat es nicht für irgendeinen Lohn getan. Wer von uns hätte ihn auch für sein Sterben am Kreuz bezahlen können; und für Gotteslohn hätte der Gottessohn nicht dienen müssen.
Nun lädt er uns ein, dass wir zu seiner Herde gehören sollen, dass wir ihm nachfolgen. Wer möchte da nicht zu seiner Herde gehören?
- Er kennt seine Schafe weiß um ihre Bedürfnisse und Nöte.
- Er kennt uns und unser Leben, alle Sorgen und Nöte, alle Ängste, alles, was uns bedrückt.
- Er weiß aber auch um das, was uns froh macht und fröhlich sein lässt.
Ein guter Schäfer erkennt die Stimmung und die Gesundheitslage seiner Schafe an ihrem Blöken. So erkennt es auch der gute Hirte, ob es ihnen gut geht oder nicht. Der gute Hirte sieht es auch an uns Menschen, an jedem einzelnen von uns.
Schon im Psalm 23 wird deutlich, dass der Herr seine Schafe als guter Hirte leitet. Aber auch hier wird deutlich, dass es nicht genügt, sich zu der Herde des guten Hirten einfach zu halten und geduldig und heimlich mitzutrotten.
Nur wer seinen Ruf hört und seinem Wort folgt, der gehört auch zu ihm und folgt ihm nach. Sein Ruf ergeht immer wieder und klingt weit über die Hürden hinaus. Die Hürden sollen uns nicht trennen von den anderen draußen, sondern uns sehen und spüren lassen, bis wohin wir gekommen sind und worüber hinaus er uns noch führen mag.
Ich soll ihm folgen, auf seine Stimme warten, bis ich sie heraus höre aus all den Stimmen, die auf mich einreden und mir einflüstern wollen, wohin die Reise schon lange gehen könnte und wohin sie ohne sie schon lange gegangen wäre.
Die freundliche Stimme meines guten Hirten erkenne ich wohl, so wie er mich in der Herde erkennt hat und gerade zu mir spricht: „Ich bin der gute Hirte“. Er sagt: „Ich bin dein guter Hirte.“ Auf diesen Augenblick warte ich und vertraue meinem guten Hirten.
Dieser gute Hirte ist es, der Geborgenheit und Schutz verspricht. Das ist etwas nach dem wir uns alle sehnen. Gerade auch in dieser Unsicherheit in der wir heute leben. Gerade auch in den Ängsten, die uns heute umgeben, brauchen wir die Zusagen des guten Hirten:
Johannes 10,27–28 NLB
27 Meine Schafe hören auf meine Stimme; ich kenne sie, und sie folgen mir. 28 Ich schenke ihnen das ewige Leben, und sie werden niemals umkommen. Niemand wird sie mir entreißen,
Hirten der Welt
Nach dem wir so viel Gutes über den guten Hirten gehört haben, vergleichen wir ihn noch einmal mit den Hirten dieser Welt, in der wir leben. Da stellt sich uns die Frage:
- Wer sind die schlechten Hirten in unserer Welt?
Das lässt mich erst einmal zögern: Bin ich da als Pastor gemeint? Ich nenne mich ruhig einmal so – auch wenn ich sonst den Titel Pfarrer habe: Pastor – Hirte!?
- Sind damit unsere Politiker, Manager, Chefs oder die Eltern oder Lehrer gemeint?
Zuerst sollten wir uns selbst prüfen, ob wir rechte Hirten sind in unserem Lebensbereich, wo wir Verantwortung tragen.
- Wie gehen wir mit unseren Eltern um?
- Wie gehen wir mit unserem Ehepartner um?
- Wie gehen wir mit unseren Kindern um?
- Wie gehen wir mit uns anvertrauten Menschen um?
Fragen, die wir uns stellen bzw. auch heute gerade vom guten Hirten stellen lassen müssen. Es hat keinen Zweck über Missstände in unserem Leben zu meckern.
Der gute Hirte würde uns fragen:
- Was tun wir selber, damit sie geändert werden?
- Wo sind wir bereit verantwortlich für uns und unsere Mitmenschen einzutreten?
Nicht immer wird alles richtig und gut werden. Wir werden Fehler machen, aber wir dürfen wissen bei allem, was wir für andere tun, steht uns der gute Hirte bei.
Mit unseren Fehlern und Versagen können wir wieder zurück zu dem guten Hirten kommen. Er nimmt uns an und auf und mit ihm haben wir eine Zukunft, ein Morgen – das dürfen wir wissen.
Amen.