Dienstagabends und an fast jedem Nachmittag ermitteln die Rosenheim-Cops. Die übliche Frage an die Angehörigen, ob der oder die Tote Feinde hatte, wird meistens verneint. Doch wenig später stellt sich heraus, dass es doch eine ganze Reihe von Feinden gibt und mit ihnen eine oder meist sogar mehrere heftige Auseinandersetzungen.
Der große deutsche Dichter Johann Wolfgang von Goethe sagt dazu:
Ich finde nichts vernünftiger in der Welt, als von den Thorheiten Anderer Vortheil zu ziehen. Ich weiss nicht, ob es nicht ein edleres Vergnügen wäre, die Menschen von ihren Thorheiten zu heilen.
Johann Wolfgang von Goethe
Mir fällt dazu die Aussage des englischen Staatstheoretiker und Philosophen Thomas Hobbes (1588-1679) ein. Er sagte folgendes: “Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf. Er ist von drei Triebfedern gekennzeichnet: Verlangen, Furcht und Vernunft.“
Er sagte das Angesichts der damals im 17. Jahrhundert schlimmen Kriegs- und Lebenssituation in Europa, so unter anderem des 30ig jährigen Krieges in Mitteleuropa, wo viele Menschen ums Leben kamen und verelendeten.
Ursprünglich stammte dieser Satz aus der Eselskomödie – „Asinaria“ des römischen Komödiendichters Plautus: „Ein Wolf, kein Mensch, ist der Mensch dem Menschen, solange er nicht weiß, welcher Art er ist.“ Auf lateinisch hieß dieser Satz: „Homo homini lupus est!“ So sagten es die Römer. Der Mensch ist des Menschen Wolf! Sie besiegen sich gegenseitig und machen doch alles dabei kaputt.
Eigentlich ist dieser Satz eine Rufschädigung für den Wolf. Denn der Wolf handelt seinem Schöpfungsauftrag gemäß. Er jagt nicht aus Erlebnis- und Abenteuersucht oder gar aus wirtschaftlichen Gründen! Er ist ein Teil des Ganzen, von Gott so geschaffen und von Gott, so wie er ist, „für gut‘ befunden.
In diesen Satz “Der Mensch ist des Menschen Wolf!”” geht es um den Menschen und sein Verhalten. Der Mensch ist der Adressat! Es geht um Neid, Eifersucht, Mord und Krieg! Es fasst den Unfrieden des Menschen in diesem „Mörderbild“ zusammen. Darum hat es nichts mit dem Wolf zu tun, sondern ist eine Übertragung des Menschen auf das Tier.
Aber auch in der Bibel gibt es genügend Beispiele für solches menschliche Handeln. Denken wir nur an Adam und Eva mit dem Sündenfall, Kain und Abel mit dem Brudermord, dem Turmbau zu Babel und dem Soseinwollen wie Gott, die Sintflut mit der Arche Noah, wo der Unglaube das Leben der Menschen beherrschte und dann zum Untergang führte. Oder die Brüder Esau und Jakob, wo ein Bruder den anderen um Segen und Erbschaft bringt. Die im Alten Testament vorkommende Gerechtigkeitsforderung “Auge um Auge, Zahn um Zahn” ist schon kein “wölfisches” Handeln mehr, da sie die “Rache” begrenzt.
Auch bei den Jüngern Jesu zeigten sich immer wieder Konflikte und Streitereien: Wer ist der Größte, wer der Lieblingsjünger, wie gehe ich mit einer Stadt um, die mich ablehnt, usw.…
Immer wieder musste Jesus eingreifen, und er tut dieses in oft sehr kreativer Art und Weise, indem er zum Beispiel ein Kind in die Mitte stellte und erklärte, dass wir werden müssen wie die Kinder. Oder, dass der Geringste unter uns der Größte ist.
Und wenn wir in unsere Zeit sehen, dann kann ich nicht aufhören, aufzuzählen: allen voran der Krieg in der Ukraine, der uns umtreibt. Und damit verbunden, die Energie- und Wirtschaftskrise und wie wir in unserem Land damit umgehen. Sind wir wirklich bereit uns einem Diktator und Populisten auszuliefern, damit es uns kurzfristig gut geht?
Doch auch im persönlichen Bereich unseres Lebens gibt es genügend Beispiele, wo der Mensch dem Menschen ein Wolf wird, sonst hätten ja unsere Familiengerichte nicht so viel zu tun. Und bei RTL gäbe es keine Gerichtsshows, wie Richterin Barbara Salesch und Richter Ulrich Wetzel.
Und selbst in den Kirchen und in unseren Gemeinden sind wir nicht frei davon. Das wissen wir nur zu gut.
Also wenn wir ehrlich sind, werden wir darum auf die Frage: Hast Du Feinde? mit ja antworten! Nun stellen sich uns die Fragen: Wie sind meine Feinde? Wie gehe ich mit ihnen um?
Besser fragen wir: Wie sollen wir mit ihnen umgehen?
Die Antwort, die uns Jesus darauf gibt, wird uns vielleicht nicht gefallen. Aber hören wir sie uns erst einmal an:
Lukas 6,27–36 LU
27 Aber ich sage euch, die ihr zuhört: Liebt eure Feinde; tut wohl denen, die euch hassen; 28 segnet, die euch verfluchen; bittet für die, die euch beleidigen. 29 Und wer dich auf die eine Backe schlägt, dem biete die andere auch dar; und wer dir den Mantel nimmt, dem verweigere auch den Rock nicht. 30 Wer dich bittet, dem gib; und wer dir das Deine nimmt, von dem fordere es nicht zurück. 31 Und wie ihr wollt, dass euch die Leute tun sollen, so tut ihnen auch! 32 Und wenn ihr liebt, die euch lieben, welchen Dank habt ihr davon? Denn auch die Sünder lieben, die ihnen Liebe erweisen. 33 Und wenn ihr euren Wohltätern wohltut, welchen Dank habt ihr davon? Das tun die Sünder auch. 34 Und wenn ihr denen leiht, von denen ihr etwas zu bekommen hofft, welchen Dank habt ihr davon? Auch Sünder leihen Sündern, damit sie das Gleiche zurückbekommen. 35 Vielmehr liebt eure Feinde und tut Gutes und leiht, ohne etwas dafür zu erhoffen. So wird euer Lohn groß sein, und ihr werdet Kinder des Höchsten sein; denn er ist gütig gegen die Undankbaren und Bösen. 36 Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist.
Aber schon das Gleichnis macht es uns ja deutlich, dass uns das oft nicht so leichtfällt, für den Nächsten da zu sein. Wir haben da viele Ausflüchte und Ausreden nicht dem Nächsten beizustehen. Nebenbei in dem Gleichnis hätten sich in unserer Zeit heute der Priester und der Levit juristisch gesehen, dem Straftatbestand der unterlassenen Hilfeleistung schuldig gemacht.
Nun setzt Jesus eins drauf und sagt: Lukas 6,27
Lukas 6,27 LU
27 Aber ich sage euch, die ihr zuhört: Liebt eure Feinde; tut wohl denen, die euch hassen;
Nein Jesus, das können wir nicht! Das ist zu krass, was du da von uns erwartest. – Das sind die ersten Gedanken, die mir hierbei durch den Kopf gehen – Der Mensch ist doch dem Menschen ein Wolf!
Ein Feind ist doch ein Mensch, mit dem wir eine Entfremdung erleben, das ist doch jemand der gegen uns ist. Er ist jemand, dessen Feindseligkeit uns daran hindert, freundlich zu sein. Wie kann ich so jemanden lieben? Das kann ich doch nicht tun.
Vielleicht ist es eine falsche Vorstellung, die wir über die Liebe haben. Wir verbinden Liebe immer mit Gefühl, so etwa mit Schmetterlingen im Bauch haben. Das erste Verliebtsein zwischen Mann und Frau. Also das Liebe etwas ist über das wir keine Kontrolle haben. Sie ist etwas, was mit uns geschieht, und ganz spontan die Saiten unseres Herzens zum Klingen bringt.
Doch die Bibel versteht hier an dieser Stelle und überhaupt etwas anderes unter Liebe. Für sie ist Liebe nicht passiv, sondern aktiv. Sie versteht unter Liebe mehr etwas mit Handeln, Tun, ja sogar Pflicht und Anforderung.
Was Jesus sagt, ist ganz einfach: „Liebet eure Feinde.“. Wir können vielleicht nicht kontrollieren, wie wir uns ihnen gegenüber fühlen, aber wir können wohl kontrollieren, wie wir mit diesen Gefühlen umgehen.
Der Märtyrer und Theologe Dietrich Bonhoeffer, für den solches Handeln selbst konkret wurde und dem es auch das Leben forderte, er umschreibt die Liebe und damit die Feindesliebe folgendermaßen:
Das bedeutet aber, dass ich den Andern freigeben muss von allen Versuchen, ihn mit meiner Liebe zu bestimmen, zu zwingen, zu beherrschen.
Dietrich Bonhoeffer
Bei ihm können wir selbst sehen, wie das Gebot dieser Feindesliebe Jesu erfüllt wurde.
In unserer Gesellschaft ist die Philosophie der Vergeltung fest verankert. Beispiele gibt es dafür zu Haufen. Der Krieg in der Ukraine führt es uns vor Augen, aber auch hier in unseren Dörfern und Städten sehen wir es, wenn die Leute mit Plakaten auf die Straße gehen, wo sie die Politiker im Gefängnis sehen wollen. Da wollen wir uns nicht nur rächen, wir wollen gewinnen, wir wollen erobern, wir wollen unsere Feinde besiegen. Also mehr als “Auge um Auge, Zahn um Zahn”. Jesus sagt dagegen: „Liebet eure Feinde.“. Diese Liebe kann manchmal sehr hart sein; diese Liebe kann manchmal zur Konfrontation auffordern.
Und Jesus geht sogar noch einen Schritt weiter: “Tut denen Gutes, die euch hassen.” Das ist ein absolut schwerer Schritt, ja eine regelrechte Herausforderung von Jesus: “Gutes mit Bösem zu vergelten”. Dennoch ist es das, wozu Christen von Jesus aufgerufen werden: „Tut Gutes denen, die euch hassen“. Damals die, die Freunde von Jesus und heute wir im Jahr 2022 hier im Altenburger Land und wo wir sonst im Fernsehen zusehen.
Wie gesagt, es ist schon manchmal nicht leicht, denen Gutes zu tun, die uns lieben und schätzen; aber denen gegenüber, von denen wir wissen, dass sie uns verachten, freundlich, großzügig und rücksichtsvoll zu sein, das erfordert die ganze Gnade und Barmherzigkeit, die die menschliche Seele ertragen kann, viel mehr als der barmherzige Samariter in dem Gleichnis von Jesus, dem gegenüber aufbrachte, der unter die Räuber gefallen ist.
Und Jesus fährt mit weiteren solchen Ansagen fort:
Lukas 6,28–30 LU
28 segnet, die euch verfluchen; bittet für die, die euch beleidigen.
29 Und wer dich auf die eine Backe schlägt, dem biete die andere auch dar; und wer dir den Mantel nimmt, dem verweigere auch den Rock nicht.
30 Wer dich bittet, dem gib; und wer dir das Deine nimmt, von dem fordere es nicht zurück.
Eigentlich ist das das Prinzip des passiven Widerstands gegen das Böse. Es bedeutet nicht, dass wir uns nicht dagegen wehren sollen und auch nicht, dass wir jedem Dieb, der die Straße entlangkommt, unseren Mantel geben sollen.
Zwei bekannte Vertreter der Geschichte, die nach diesem Prinzip gehandelt haben, waren der Christ Leo Tolstoi, der Pazifismus und gewaltfreien Widerstand gegen die Leibeigenschaft in Russland mit Jesu Gebot der Feindesliebe begründete, und der Hinduist Mohandas Gandhi im gewaltfreien Widerstand gegen rassistische Staatsgesetze in Südafrika und dann gegen die britischen Kolonialmächte in Indien.
Aber da ist auch Dietrich Bonhoeffer und Martin Luther King zu nennen. Ja und auch die Demonstrationen des Jahres 1989 sind ein Beispiel dafür, wie der passive Widerstand das Böse überwindet.
Der frühere Pfarrer Jörg Zink schreibt dazu:
Den Feind lieben heißt …
Den Feind lieben heißt gewiss nicht sich anbiedern oder unterwerfen, es heißt gewiss nicht Grausamkeit hinnehmen, ohne sich zu wehren und den Verfolgten zur Seite zu stehen. Aber es heißt sehen, dass auch unsere Feinde Menschen sind wie wir: fehlerhaft, verängstigt, irrend, gebunden an Interessen und Vorurteile. Den Feind lieben – das kann, vor allem wenn es nur mit halbem Herzen geschieht, auch misslingen. Aber Befriedung und Versöhnung sind erst zu erreichen, wenn wir bereit sind, dieses Risiko einzugehen.
Den Feind lieben – das heißt sich von Unrecht oder Bedrohung nicht blenden lassen: nicht in Panik geraten, nicht die erstbeste gewaltsame Antwort für die letztmögliche halten und sich nicht in Ideologien retten, die den eigenen Standpunkt zum einzig erlaubten erklären.
Den Feind lieben – das heißt in den Spiegel sehen: die eigene Antwort immer vergleichen mit dem Angriff des Feindes und darauf achten, nicht ungewollt ähnlich zu handeln wie er.
Den Feind lieben – das heißt unterscheiden zwischen dem Unrecht und dem Menschen, der es begeht: das Unrecht bekämpfen und zugleich versuchen, den Täter womöglich zum Freund zu gewinnen.
Den Feind lieben – das heißt hinausdenken über die Feindschaft: davon ausgehen, dass Menschen sich ändern können, Feindschaften beigelegt und Konflikte versöhnlich beendet werden können.
Und dann sagt Jesus: Eigentlich gibt es nur eine Regel, und ich führe mal sinngemäß weiter, und die gilt für alle Menschen, egal ob du Jude, Christ oder Heide bist, egal ob du Moslem, Agnostiker oder Atheist bist, ja egal, ob du Bruder oder Schwester, Nachbar, Freund oder Feind bist. Es ist eine Regel, die ist entscheidend für das Zusammenleben der Menschen überhaupt.
Jesus sagt:
Lukas 6,31 LU
31 Und wie ihr wollt, dass euch die Leute tun sollen, so tut ihnen auch!
Es ist die sogenannte Goldene Regel. Sie stammt nicht ursprünglich von Jesus, auch nicht aus dem Lukasevangelium oder aus dem Christentum. Nein dieser Grundsatz hat im Judentum eine lange Tradition. Vielleicht wurde er an mancher Stelle mehr negativ formuliert. So sagte ein alter Rabbi des Judentums: Was dir verhasst ist, das tue deinem Nächsten nicht.
Jesus gibt der Redewendung hier eine positive Richtung. „Behandelt die Menschen so, wie ihr von ihnen behandelt werden wollt“. So können wir erkennen, ob wir uns unseren Mitmenschen egal ob Freund oder Feind gegenüber angemessen verhalten oder nicht. Wenn alle Menschen in der Welt dieses Gebot befolgen würden, wäre die Gesellschaft eine andere.
Aber das Gute ist – wir können heute und hier damit anfangen. Dazu macht uns Jesus Mut. Jesus will, dass wir bereit sind, die Hand auszustrecken und den anderen zu helfen, auch denen, die uns eigentlich ablehnen und nicht an ihnen zu verzweifeln; ihnen Hilfe leisten, nicht zu unserem eigenen persönlichen Vorteil, sondern aus einem Gefühl des Mitgefühls und der Sorge für diejenigen, die in Not sind. Wir können so in seinem Namen kleine Zeichen setzten.
Wir können barmherzig sein, weil Gott barmherzig ist, weil Gott uns gegenüber barmherzig ist.
Der Mensch muss nicht dem Menschen ein Wolf sein.
Amen