
Einleitung
In vielen Gemeinden wirkt die christliche Gemeinschaft wie ein ruhiger Hafen voller Vertrautheit. Man kennt sich, man versteht sich – und fühlt sich sicher. Doch was bleibt übrig, wenn wir nur jene willkommen heißen, die uns ähnlich sind?
Die Theologin E. L. Sherene Joseph stellt genau diese unbequeme Frage: Haben wir „Gemeinschaft“ mit „Ähnlichkeit“ verwechselt? Ihre Antwort: Wahre Gemeinschaft beginnt dort, wo Komfort endet.
Diese Fragestellung bewegt mich eigentlich schon seit vielen Jahren, ja von Beginn meines Dienstes als Pfarrer, wie kann Gemeinde offen sein und nicht nur ein Kuschelclub der Erretteten.
Komfort als trügerische Gemeinschaft
Moderne Kirchen tendieren zur Homogenität – sie bestimmen, wer dazugehört, oft nach Komfortkriterien. Das war nie der biblische Idealfall; Gemeinschaft im Neuen Testament war bewusst inklusiv und grenzüberschreitend.(logos.com)
Am Sonntagmorgen sitzen viele auf ihren Stammplätzen. Man grüßt freundlich, tauscht die neuesten Nachrichten aus – aber die Kreise bleiben eng.
Ein neuer Gast wagt sich in die Kaffeerunde nach dem Gottesdienst. Doch die Gesprächskreise sind geschlossen. Er lächelt, nimmt einen Kaffee – und geht bald wieder.
Das ist bequem für die „alten Bekannten“, aber schmerzhaft für die, die neu dazu stoßen. Genau hier zeigt sich: Gemeinschaft nach dem Maßstab der Bequemlichkeit ist keine echte Gemeinschaft.
Lektionen aus der Urgemeinde
Die frühe Kirche versammelte sich nicht aus Bequemlichkeit. Große Merkmale: Lehre, Gemeinschaft, Mahl und Gebet – verbunden mit materieller Solidarität und einem Engagement für Außenseiter.(logos.com)
Die Apostelgeschichte berichtet: „Sie blieben beständig in der Lehre der Apostel und in der Gemeinschaft und im Brotbrechen und im Gebet.“ (Apg 2,42)
Man stelle sich die Szene vor: In einem Jerusalemer Hof sitzen Händler, Witwen, Fischer, Sklaven und Gelehrte zusammen. Sie teilen Essen, Gebete, sogar Geld. Nicht, weil es bequem war, sondern weil Christus sie verband. Gemeinschaft hieß damals: Tischgemeinschaft auch mit Fremden. Teilen, auch wenn es wehtut. Gebet, das Menschen zusammenbindet, die sich sonst nie begegnet wären.
Das klingt nicht nach Komfort – sondern nach Wagnis.
Von Komfort zu Engagement
Statt zu fragen: „Wo gehöre ich hin?“, sollten wir fragen: „Für wen schaffe ich einen Ort der Zugehörigkeit?“ Kirche als einladender Raum für jene, die sonst nirgends willkommen sind.(logos.com)
In vielen Gemeinden gibt es die „Kaffeerunde nach dem Gottesdienst“. Für die, die dazugehören, ist sie gemütlich. Doch wer das erste Mal dazukommt, findet oft nur geschlossene Gesprächskreise.
Die Frage lautet: Wem schaffe ich einen Ort der Zugehörigkeit?
Kirche wird dann zur echten Heimat, wenn sie für Menschen offen ist, die sich sonst nirgends willkommen fühlen.
Oder: In einer mitteldeutschen Gemeinde trafen sich Geflüchtete aus Syrien, eine Rentnerin aus der Nachbarschaft und ein Teenager aus der Jugendgruppe zum gemeinsamen Kochen. Anfangs war die Sprachbarriere groß, die Unsicherheit spürbar. Doch beim Schälen von Kartoffeln und dem Lachen über zu scharfe Gewürze entstand echte Nähe.
Das ist der Kern: Nicht nur fragen, wo ich hingehöre, sondern für wen ich einen Ort der Zugehörigkeit schaffen kann.
Unbequem ist zentral – nicht optional
Gemeinschaft ist kein leichtes Miteinander, sondern erfordert Mut – zu Verletzlichkeit, Toleranz und Differenz. Ohne Unbehagen bleibt sie oberflächlich.(logos.com)
Ein typisches Beispiel: In einer Bibelstunde kommt es zum Streit über Musik im Gottesdienst. Die einen lieben die Orgel, die anderen den Lobpreis mit Gitarre. Es wäre bequem, getrennte Gruppen zu bilden. Doch die Gruppe entschied: Wir bleiben zusammen, wir lernen voneinander – auch wenn es knirscht.
Genau dort, im Spannungsfeld, entsteht eine tiefere Gemeinschaft, die mehr ist als Geschmackssache.
Integration statt Parallelwelten
Spezialprogramme haben ihren Platz – doch echte Gemeinschaft entsteht, wenn Menschen über Unterschiede hinweg Begegnung wagen. So kann Vielfalt zum Segen werden.(logos.com)
Viele Gemeinden haben eigene Gruppen: Senioren, Jugendliche, Familienkreise, internationale Kreise. Das ist wertvoll – doch wenn sie nur nebeneinander existieren, entsteht keine wirkliche Gemeinde.
Ganz anders ein Erntedankfest in einer Landgemeinde: Kinder sagen Gedichte auf, Geflüchtete bringen ihr Heimatessen mit, Senioren erzählen Geschichten von früher. Verschiedene Welten treffen aufeinander – und genau das macht den Abend reich.
Gemeinschaft lebt davon, dass Unterschiede nicht zur Trennung führen, sondern zur gegenseitigen Bereicherung.
Schlussgedanken: Einladung ins Unbequeme
Wahre christliche Gemeinschaft wächst nicht im Wohlfühlbereich. Sie beginnt dort, wo Komfort endet – im ehrlichen, spannungsvollen Beieinandersein. Vielleicht ist genau das der Ort, an dem wir Christus begegnen – jenseits der Mauer des Bequemen.
Vielleicht ist genau das der Ort, an dem wir Christus begegnen: nicht dort, wo alles bequem ist, sondern wo wir uns wagen, fremd und doch gemeinsam Kirche zu sein.
👉 Frage an dich: Wo bist du bereit, in deiner Gemeinde einen Schritt aus der Komfortzone zu gehen, damit ein anderer Mensch Platz findet?
Quellen
E. L. Sherene Joseph: Where Comfort Goes to Die: Christian Community Beyond Homogeneity, Logos Blog, 19. August 2025.
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