1. Einführung: Was ist das Nicäno-Konstantinopolitanum?

Das Nicäno-Konstantinopolitanische Glaubensbekenntnis gehört zu den bedeutendsten und am weitesten verbreiteten Bekenntnissen des Christentums. Es wurde im 4. Jahrhundert in einer Zeit tiefgreifender theologischer Auseinandersetzungen formuliert und ist bis heute in fast allen christlichen Konfessionen gültig. Es bringt den gemeinsamen Glauben an den dreieinen Gott zum Ausdruck und dient als klare Zusammenfassung des christlichen Evangeliums. Besonders in der Liturgie hat es einen festen Platz – als Ausdruck des gemeinsamen Glaubens und als Brücke zwischen den Konfessionen.
2. Historischer Hintergrund: Konzil von Nicäa und Konzil von Konstantinopel
Die Ursprünge des Bekenntnisses liegen im Ersten Konzil von Nicäa (325 n. Chr.), das einberufen wurde, um auf den Arianismus zu reagieren – eine Lehre, die die göttliche Natur Jesu in Frage stellte. Das Konzil stellte klar: Jesus Christus ist wesensgleich mit dem Vater (griechisch: homoousios) – wahrer Gott vom wahren Gott.
Das Zweite Ökumenische Konzil von Konstantinopel (381 n. Chr.) ergänzte diese Formulierung insbesondere um Aussagen über den Heiligen Geist, dessen Göttlichkeit ebenfalls bestritten wurde. Die endgültige Fassung des Bekenntnisses bekräftigte daher die Dreifaltigkeit Gottes in klarer, umfassender Sprache.
3. Der Text in moderner deutscher Übersetzung
Im Folgenden findest du eine zeitgemäße, gut verständliche Fassung des Bekenntnisses:
Wir glauben an den einen Gott,
den allmächtigen Vater,
der alles geschaffen hat,
Himmel und Erde,
die sichtbare und die unsichtbare Welt.
Und an den einen Herrn Jesus Christus,
Gottes eingeborenen Sohn,
aus dem Vater geboren vor aller Zeit:
Gott von Gott, Licht vom Licht,
wahrer Gott vom wahren Gott,
gezeugt, nicht geschaffen,
eines Wesens mit dem Vater.
Durch ihn ist alles geschaffen.
Für uns Menschen und zu unserem Heil
ist er vom Himmel gekommen,
hat Fleisch angenommen
durch den Heiligen Geist
von der Jungfrau Maria
und ist Mensch geworden.
Er wurde für uns gekreuzigt
unter Pontius Pilatus,
hat gelitten und ist begraben worden.
Am dritten Tage ist er auferstanden
nach der Schrift
und aufgefahren in den Himmel.
Er sitzt zur Rechten des Vaters
und wird wiederkommen in Herrlichkeit,
zu richten die Lebenden und die Toten.
Seiner Herrschaft wird kein Ende sein.
Wir glauben an den Heiligen Geist,
der Herr ist und lebendig macht,
der aus dem Vater [und dem Sohn]* hervorgeht,
der mit dem Vater und dem Sohn
angebetet und verherrlicht wird,
der gesprochen hat durch die Propheten.
Wir glauben an die eine,
heilige, katholische (d. h. weltweite)
und apostolische Kirche.
Wir bekennen die eine Taufe
zur Vergebung der Sünden.
Wir erwarten die Auferstehung der Toten
und das Leben der kommenden Welt.
Amen.
Anmerkung: Der Zusatz „und dem Sohn“ (lateinisch: filioque) wurde im Westen ergänzt und ist bis heute ein Streitpunkt zwischen der römisch-katholischen und der orthodoxen Kirche.
4. Theologische Struktur und Kernaussagen
Das Bekenntnis ist trinitarisch aufgebaut – es gliedert sich in drei Hauptabschnitte:
- Gott Vater: Schöpfer der sichtbaren und unsichtbaren Welt.
- Jesus Christus: Wahrer Gott und wahrer Mensch, geboren, gekreuzigt, auferstanden und erhöht.
- Heiliger Geist: Herr und Lebensspender, angebetet mit Vater und Sohn, aktiv durch die Propheten.
Es folgen weitere zentrale Aussagen:
- Der Glaube an die eine, heilige, katholische und apostolische Kirche
- Das Bekenntnis zur einen Taufe zur Vergebung der Sünden
- Die Hoffnung auf Auferstehung und ewiges Leben
Diese Aussagen bilden ein theologisches Fundament, das Christen weltweit eint – über alle Konfessionen hinweg.
5. Biblische Grundlage und geistlicher Gehalt
Das Nicäno-Konstantinopolitanum ist nicht bloß ein theologisches Lehrwerk. Es ist eine konzentrierte Zusammenfassung des Evangeliums: Gott liebt die Welt, Jesus Christus ist für uns Mensch geworden, gestorben und auferstanden. Der Heilige Geist lebt in seiner Kirche und führt uns zur Wahrheit.
Durch dieses Bekenntnis drücken Christinnen und Christen ihren Glauben gemeinsam aus – verwurzelt in der Bibel, lebendig in der Gegenwart, offen für die Zukunft Gottes.
6. Liturgische Bedeutung
In der Liturgie hat das Glaubensbekenntnis seit dem 5. Jahrhundert einen festen Platz – zuerst im Osten, später auch im Westen. Es wird insbesondere im Rahmen der Eucharistie gesprochen und bildet die Brücke zwischen der Verkündigung des Wortes und der Feier des Sakraments. In der römischen Messe, orthodoxen Liturgien und vielen protestantischen Gottesdiensten ist es fester Bestandteil des sonntäglichen Gottesdienstes.
7. Einheit und Konflikt: Das Filioque-Problem
Ein bleibender theologischer Diskussionspunkt ist der sogenannte filioque-Zusatz („… und dem Sohn“). Während die westliche Kirche diese Formulierung übernimmt, betont die östliche Kirche die ursprüngliche Version („… der aus dem Vater hervorgeht“). Dieses theologische Detail war ein Mitverursacher des Großen Schismas von 1054. Dennoch bleibt das Bekenntnis in seiner Grundform ein gemeinsames Erbe.
8. Was bedeutet „katholisch“?
Oft missverstanden wird das Wort „katholisch“ im Bekenntnis. Es bedeutet nicht „römisch-katholisch“, sondern stammt vom griechischen katholikē – „allumfassend“. Gemeint ist die universale Kirche Jesu Christi – gegründet auf die Lehre der Apostel, lebendig im Glauben der ganzen Welt.
9. Die Bedeutung für die Neuzeit: Orientierung im Wandel
In der heutigen Zeit erleben viele Menschen eine tiefgreifende religiöse und kulturelle Verunsicherung. Die Vielfalt an Weltanschauungen, das Auseinanderfallen gemeinsamer Werte und die Relativierung von Wahrheiten stellen viele vor die Frage: Woran können wir uns noch halten?
Gerade hier entfaltet das Nicäno-Konstantinopolitanische Glaubensbekenntnis seine zeitlose Kraft:
- Orientierung in der Vielfalt: In einer Welt, in der alles möglich scheint, bietet das Bekenntnis eine klare, verbindliche Glaubensbasis.
- Einheit in der Zerstreuung: Über Kirchen- und Ländergrenzen hinweg verbindet es Christinnen und Christen durch ein gemeinsames Bekenntnis – gestern, heute und morgen.
- Tiefe statt Beliebigkeit: Es lädt ein zu einem Glauben, der nicht oberflächlich ist, sondern sich auf das Wesen Gottes konzentriert – Vater, Sohn und Heiliger Geist.
- Wahrheit in der Diskussion: In Zeiten kontroverser Debatten um Identität, Ethik und Spiritualität gibt das Bekenntnis eine klare Antwort darauf, wer Gott ist und was der Mensch in Gottes Augen wert ist.
- Hoffnung in der Krise: Die Erwartung der Auferstehung und des ewigen Lebens schenkt eine Hoffnung, die über den Tod hinausreicht – und gerade in Krisenzeiten Kraft gibt.
So wird das Nicäno-Konstantinopolitanum zu einem Anker für den Glauben in der Moderne. Es ist nicht veraltet – sondern aktueller denn je.
10. Ein Bekenntnis des Glaubens – für jede Generation
Das Nicäno-Konstantinopolitanische Glaubensbekenntnis ist nicht nur ein theologischer Text aus der Spätantike. Es ist ein lebendiges Bekenntnis, das Generationen von Christinnen und Christen miteinander verbindet. Es schenkt Halt, fördert Einheit und vertieft das Verständnis des christlichen Glaubens.
Fazit: Ewige Wahrheit in menschlichen Worten
Das Nicäno-Konstantinopolitanische Glaubensbekenntnis ist mehr als ein Text aus der Geschichte. Es ist ein lebendiges Zeugnis des christlichen Glaubens, das bis heute Gemeinschaft stiftet, Orientierung gibt und die Mitte des Evangeliums bekennt: den dreieinen Gott – Vater, Sohn und Heiligen Geist.
In einer Welt voller Stimmen ist es ein klares Wort des Glaubens.
Inmitten von Unsicherheit ist es ein festes Fundament.
In der Vielfalt der Kirchen ist es ein Zeichen der Einheit.
Das Nicäno-Konstantinopolitanum ist und bleibt ein Bekenntnis für alle Zeiten.
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