„Er wurde vor ihren Augen emporgehoben“

Die Himmelfahrt Jesu Christi zwischen Glaube und Theologie

„Und als er das gesagt hatte, wurde er vor ihren Augen emporgehoben, und eine Wolke nahm ihn auf vor ihren Augen weg.“
Apostelgeschichte 1,9

Von Giotto di Bondone – Ursprung unbekannt, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=94640

„Er führte sie aber hinaus bis in die Nähe von Bethanien, hob die Hände auf und segnete sie. Und es geschah, während er sie segnete, verließ er sie und wurde zum Himmel emporgehoben.“
Lukas 24,50–51

Vierzig Tage nach Ostern feiert die Kirche ein Ereignis, das oft übersehen oder missverstanden wird: Christi Himmelfahrt. Dabei handelt es sich nicht bloß um das „Verschwinden Jesu“, sondern um seine Erhöhung, seine Einsetzung zur Rechten Gottes – und damit um ein zentrales Heilsereignis unseres Glaubens. Es verbindet die irdische Existenz Jesu mit seiner himmlischen Herrschaft und öffnet zugleich eine Perspektive für unsere eigene Zukunft mit Gott.


1. Die biblischen Berichte – was genau geschah?

Die Himmelfahrt Jesu wird im Neuen Testament vor allem in zwei Texten geschildert:

  • Lukas 24,50–53: Jesus segnet die Jünger bei Bethanien, wird emporgehoben und verlässt ihre sichtbare Gegenwart.
  • Apostelgeschichte 1,9–11: Jesus spricht ein letztes Mal zu den Jüngern, wird emporgehoben, eine Wolke nimmt ihn auf – zwei Engel verkünden seine Wiederkunft.

Beide Texte stammen vom selben Autor (Lukas) und markieren die Schnittstelle zwischen Evangelium und Kirchengeschichte. Der Evangelist beschreibt keinen physikalischen „Flug in den Himmel“, sondern ein theologisches Geschehen: Jesus wird erhöht, nicht entrückt. Die „Wolke“ verweist auf Gottes Gegenwart (vgl. Ex 13,21; Dan 7,13). Die Himmelfahrt ist somit kein Abschied, sondern eine Verwandlung der Gegenwart Jesu: von der sichtbaren zur geistlichen Nähe.


2. Theologische Bedeutung: Christus ist Herr – jetzt

Die Himmelfahrt ist die Vollendung von Ostern. Der Auferstandene kehrt nicht einfach „heim“ – er wird eingesetzt als Herr über Leben und Tod, als Hohepriester und König.

Nach neutestamentlichem Zeugnis bedeutet Himmelfahrt:

  • Christus regiert: Er sitzt zur Rechten Gottes (vgl. Röm 8,34; Eph 1,20–23). Er ist nicht abwesend, sondern gegenwärtig in neuer Weise – durch den Heiligen Geist.
  • Christus vertritt uns: Er tritt für uns ein beim Vater (Hebr 7,25). Unsere Menschlichkeit ist in der göttlichen Sphäre angekommen.
  • Christus bereitet uns vor: Er geht voraus, um uns Raum zu schaffen (Joh 14,3). Sein Weg ist unser Weg.

Die frühe Kirche bekennt dies im Glaubensbekenntnis: „aufgefahren in den Himmel, er sitzt zur Rechten Gottes…“. Es ist eine Heilsaussage, keine Himmelskunde.


3. Was bedeutet das für uns heute?

Viele erleben Gott als abwesend. Die Welt scheint oft gottverlassen. Doch gerade hier setzt die Botschaft der Himmelfahrt an: Christus ist gegenwärtig – aber verborgen. Er wirkt durch seinen Geist, durch sein Wort, durch die Gemeinschaft der Gläubigen. Seine „Abwesenheit“ ist Raum für unsere Verantwortung.

Die Himmelfahrt gibt uns:

  • Trost: Der auferstandene Christus ist beim Vater und zugleich bei uns – in jeder Situation unseres Lebens.
  • Hoffnung: Er wird wiederkommen (Apg 1,11). Die Geschichte hat ein Ziel – und dieses Ziel ist gut.
  • Haltung: Die Jünger kehren nach Jerusalem zurück, „mit großer Freude“ (Lk 24,52). Sie feiern nicht den Abschied, sondern die neue Gegenwart Christi.

4. Liturgische und spirituelle Dimension

Die Himmelfahrt hat auch eine liturgische Dimension. In der katholischen, orthodoxen und evangelischen Liturgie wird sie als Hochfest gefeiert – oft mit feierlichem Gottesdienst, Gesängen wie „Christ fuhr gen Himmel“ oder „Er ist erstanden“, und mit dem Blick auf Pfingsten als Vollendung.

Spirituell lädt sie uns ein, den „Blick zum Himmel“ nicht als Flucht, sondern als Orientierung zu verstehen. Wie die Engel sagen: „Was steht ihr da und schaut zum Himmel?“ (Apg 1,11) – Der Himmel ist offen, aber unser Auftrag ist auf Erden. Christliche Hoffnung blickt nach oben, aber geht mutig voran.


5. Fazit: Himmel und Erde sind verbunden

Die Himmelfahrt Jesu ist kein seltsames Zwischenglied zwischen Ostern und Pfingsten. Sie ist ein eigenes Glaubensfest – voller theologischer Kraft:

  • Sie verkündet: Christus lebt – und regiert.
  • Sie bezeugt: Unsere Zukunft ist im Himmel – mit ihm.
  • Sie fordert: Bleibt nicht stehen – lebt als seine Zeugen.

„Dieser Jesus […] wird so wiederkommen, wie ihr ihn habt zum Himmel hingehen sehen.“
Apostelgeschichte 1,11


Literatur & Quellen

  • Bibel: Lutherbibel 2017. Deutsche Bibelgesellschaft.
  • Farrow, Douglas B.: Ascension and Ecclesia: On the Significance of the Doctrine of the Ascension for Ecclesiology, T&T Clark, 1999.
  • Lohfink, Gerhard: Die Himmelfahrt Jesu, Stuttgart: Katholisches Bibelwerk, 1971.
  • Stock, Alex: Das Fest der Himmelfahrt Christi. Liturgik im Kirchenjahr, Paderborn, 2004.
  • Moltmann, Jürgen: Der kommende Gott. Christliche Eschatologie, München: Gütersloher Verlagshaus, 2005.
  • Barth, Karl: Kirchliche Dogmatik IV/2, Zürich: TVZ, 1955.
  • Tillich, Paul: Systematische Theologie, Bd. 2, Stuttgart, 1968.

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