Liebe Gemeinde,
in diesem Jahr habe ich das erste Mal ganz bewusst frische reife Feigen gegessen. Ich sah sie in der Obstauslage des Supermarktes im Sonderangebot und dachte mit: Du nimmst sie einfach einmal mit, um sie zu probieren. Dann habe ich den oberen Stil abgeschnitten und die Früchte geviertelt und diese dann als Deko für den Salat verwendet. Später habe ich sie dann auch so gegessen. Die Frucht schmeckt nicht so süß, wie die getrocknete Frucht aus dem Feigenkuchen. Doch sie schmeckt recht angenehm.
Die Feige ist ja in Palästina das, was bei uns der Apfelbaum ist. So ein Feigenbaum bringt dort im Jahr bis zu drei Ernten, wobei die zweite und ganz besonders die dritte Ernte die schmackhaftesten Früchte hervorbringen.
Das Wachsen und Werden für die zweite Ernte nimmt Jesus in einem Gleichnis auf und mahnt in diesem zur Bereitschaft auf sein Kommen zu warten und dafür bereit zu sein.
Wir hören aus Markus 13,28-37 :
Markus 13,28–37 LU
28 An dem Feigenbaum aber lernt ein Gleichnis: Wenn seine Zweige saftig werden und Blätter treiben, so wisst ihr, dass der Sommer nahe ist. 29 Ebenso auch, wenn ihr seht, dass dies geschieht, so wisst, dass er nahe vor der Tür ist. 30 Wahrlich, ich sage euch: Dieses Geschlecht wird nicht vergehen, bis dies alles geschieht. 31 Himmel und Erde werden vergehen; meine Worte aber werden nicht vergehen. 32 Von jenem Tage aber oder der Stunde weiß niemand, auch die Engel im Himmel nicht, auch der Sohn nicht, sondern allein der Vater. 33 Seht euch vor, wachet! Denn ihr wisst nicht, wann die Zeit da ist. 34 Es ist wie bei einem Menschen, der über Land zog und verließ sein Haus und gab seinen Knechten Vollmacht, einem jeden seine Arbeit, und gebot dem Türhüter, er sollte wachen: 35 So wacht nun; denn ihr wisst nicht, wann der Herr des Hauses kommt, ob am Abend oder zu Mitternacht oder um den Hahnenschrei oder am Morgen, 36 damit er euch nicht schlafend finde, wenn er plötzlich kommt. 37 Was ich aber euch sage, das sage ich allen: Wachet!
Das Bild vom Feigenbaum und das folgende Gleichnis vom Hausherrn mit der Mahnung von Jesus fordert zur Wachsamkeit auf. Damals die Freunde von Jesus, seine Jünger, und heute uns, die wir hier in diesem Gottesdienst versammelt sind. Auch die, die heute hier sind und um Angehörige trauern, die im vergangenen Kirchenjahr verstorben sind.
Dabei geht es nicht um eine Wachsamkeit wegen irgendwelcher Katastrophen, Weltuntergänge oder sonstiger negativer Ereignisse, sondern es geht allein wachsam zu sein, auf die Wiederkunft von Jesus Christus hin. Der Aufruf zur Wachsamkeit kommt im Text viermal vor als Gegenwort gegen alle Müdigkeit, gegen alle Lebensmüdigkeit, ja auch gegen alle Sterbensmüdigkeit.
Mancher von uns hat ganz besonders im vergangenen Jahr die Vergänglichkeit des Lebens erfahren. Da läuft nicht mehr alles seinen gewohnten Gang, sei es durch schwere Krankheit, den Verlust lieber Angehöriger oder auch gleich alles zusammen. Da denkt man, dass man mit angezogener Handbremse durch Leben fährt. Entsprechend hoch sind die Reibungsverluste. Darum ist Trauern harte Arbeit.
Beim Sterben eines geliebten Menschen hat mancher erlebt, was es heißt, wachsam zu sein. Da sind die durchwachten Nächte am Bett des Sterbenden. Da sind die Bilder, die jetzt das Leben bestimmen und immer wiederkommen. Da ist die Sehnsucht, noch einmal dem Geliebten ein Wort sagen zu können. Es sind da die leeren Räume, die der Mann, die Frau, der Sohn, die Tochter, die Mutter, der Vater nicht mehr betritt. Doch auch Leiden hat seinem Ziel gefunden, ist jetzt vorbei, der Friede ist eingekehrt.
Jetzt steht die Frage im Raum: Wie geht es weiter? Da hören wir die Zusage und Aufforderung von Jesus: Seid wachsam! Seid wachsam, weil Himmel und Erde vergehen, aber meine Worte werden nicht vergehen. Mit mir habt ihr eine Zukunft in Ewigkeit.
Gerade in diesem Jahr nehmen wir die Vergänglichkeit des Lebens, auch unseres Lebens, sehr bewusst wahr. Unsere Welt ist tief gefährdet. Hunger, Not und Krieg nehmen endzeitliche Ausmaße an. Der Krieg in der Ukraine, die Klimakrise und die damit verbundenen Unwetterkatastrophen, Corona-Pandemie, die zwar im Abklingen ist, die Hungerkatastrophen und vieles mehr. Aber auch wir selbst spüren, wie unser Leben gefährdet ist. Darum setzten wir uns mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln dem näherkommenden Tod zur Wehr, aber wir wissen es: Er wird siegen, und wir werden unterliegen. Dennoch geht es in der Aufforderung des Wachsam seins von Jesus nicht um all das. Das ist sogar für Jesus fast nebensächlich.
Es ist wie im Gleichnis vom Feigenbaum die Vorfeige, die erste Feige, die noch nicht schmeckt. Es kommt erst auf die zweite Feige an.
Und das ist das Wiederkommen des Menschensohnes. Darum lädt Jesus auch uns heute mit seinem Gegen-Wort zum Glauben und zur Hoffnung ein: »Meine Worte werden nicht vergehen!« Darum seid wachsam. Seid bereit und lasst die Tagesordnung eures Lebens von Gott dem Vater bestimmen. Gott allein weiß um die Stunde und den Tag, das Ziel unseres Lebens. Jesus macht seinen Leuten damals klar, dass keiner außer Gott die Stunde bestimmt, nicht einmal er, Jesus, der Sohn Gottes. Was das Ende der Zeiten und der Welt angeht, das ist tatsächlich Chefsache. Da lässt sich Gott von keinem in die Karten schauen.
Dass Gottes Wort auch im neuen Himmel und auf der neuen Erde seine Geltung behält, sagen im Übrigen Ps 119,89; Jes 40,8; Mt 24,35 deutlich genug.
Gerhard Maier
Psalm 119,89 LU
89 Herr, dein Wort bleibt ewiglich, so weit der Himmel reicht;
Jesaja 40,8 LU
8 Das Gras verdorrt, die Blume verwelkt, aber das Wort unseres Gottes bleibt ewiglich.
Matthäus 24,35 LU
35 Himmel und Erde werden vergehen; aber meine Worte werden nicht vergehen.
Im Christentum ist dieses Wissen um die Vorläufigkeit der gegenwärtigen Welt über viele Jahrhunderte prägend geblieben.
Die letzten Generationen sind allerdings viel diffuser gestimmt, vgl. EG 432 in V. 3: „Gott will mit uns die Erde verwandeln. Wir können neu ins Leben gehn.“
Es gibt immer aber auch immer wieder mal Leute, die biblische Zahlenmodelle aufstellen und versuchen Berechnungen durchzuführen. Denen kann man von vornherein sagen: Ihr irrt, denn Gott lässt sich nicht in seinen Zeitplan schauen!”
Doch mit seinen Worten will Jesus unseren Glauben stärken. Er will nicht unsere Neugier zufrieden stellen, sondern er um mein Vertrauen werben. Denn spätestens, wenn ich sterbe, habe ich keinen Einfluss mehr auf mein Leben nach dem Tod. Anstatt im Trüben zu fischen, wie das so viele gerne tun, wenn sie sich auf Wahrsagerei und Horoskope einlassen, haben wir als Christen unseren Grund und unsere Hoffnung auf den einen Herrn der Welt zu setzen. Vielleicht haben auch ihr diese Erfahrung in eurem Leben und in eurer Familie gemacht. Da ist die Lebenszeit eines Menschen abgelaufen. Und das Ganze geht rechnerisch und logisch nicht auf. Es entstehen bittere Fragen. Die nehme ich dann sehr ernst: »Der eine muss sterben (beispielsweise ein Kind auf der Krebsstation), und der andere darf nicht sterben?
Wir kommen dann an die Grenzen menschlichen Begreifens. Da helfen uns dann keine Bilder mehr. Wir sehen nur noch Brüche. Dann kommen die Fragen: „Wie kann Gott das zulassen? Wo ist denn Gott? Warum? “
Genau zu solchen Menschen sagt Jesus dann: »Der Vater weiß darum!« Das ist keine Rechnung und keine Auskunft, mit der wir unser zerbrechendes Leben reparieren können. Das ist Anrede.
Der Psalmbeter betet: „Dennoch bleibe ich stets an dir; denn du hältst mich bei meiner rechten Hand.“ (Psalm 73,23)
Gerade, wenn Sie das schmerzlich erleben, möchte ich Ihnen zusagen: Ihr Leben und ihre Zeit steht in seinen Händen. So ist es gut, dass Gott die Stunde bestimmt. So können wir singend beten: Meine Zeit steht in deinen Händen. Nun kann ich ruhig sein, ruhig sein in dir. Du gibst Geborgenheit, du kannst alles wenden. Gib mir ein festes Herz, mach es fest in dir.
Jesus fordert uns auf, wachsam zu sein und auf Gottes Stunde zu warte. Das bedeutet aber nicht, dass wir die Hände in den Schoß legen sollen. Sondern das Wachsamsein, soll ein aktives Wachsamsein sein. Gott will uns in unserer Zeit brauchen und jeden in seine Arbeit stellen.
Als Christen leben wir auf Hoffnung und haben in dieser Welt immer Zeichen der Hoffnung zu setzen. Das war bei den ersten Christen schon so und das sollte heute auch bei uns so sein.
Als der Apostel Paulus durch Kleinasien zog und die ersten Gemeinden gründeten, lebten die Christen damals in der Naherwartung: „Unser Herr kommt bald – Marnatha!“
Die Botschaft des Glaubens fiel auf guten Boden die Gemeinden wuchsen rasch. Man feierte die Gottesdienste und brach im Abendmahl das Brot. Wobei das Abendmahl eine umfangreichere Mahlzeit war. Doch man spürte schnell, da ist noch mehr zu tun. Man begann sich in den Gemeinden umeinander zu kümmern. Diakone wurden eingesetzt, die sich um die Gemeindeglieder kümmerten. Für die bedürftige Gemeinde in Jerusalem wurde gesammelt. Der Apostel Paulus ermutigte die Christen sich für Staat und Gesellschaft einzusetzen, und für die Regierung zu beten.
So finden wir auf der einen Seite die glühende Hoffnung, dass die Vollendung der Welt und das Ende aller Sorgen kurz bevorstehe – und auf der anderen Seite die Verantwortung für diese Welt, weit über die Grenzen der Gemeinde hinaus.
Auch heute können wir diese Beobachtung machen. Wo Menschen mit neuer Hoffnung begabt und begnadet sich auf den Weg machen, da ändern sich die Umstände, in denen sie leben. Da wird Versöhnung möglich, wo vorher nur Streit herrschte. Da entsteht hoffentlich Verantwortung für den Menschen neben mir.
Am Reformationstag war ich beim Sächsischen Gemeindebibeltag in Glauchau. Da sagt einer der Referenten: “Gemeindearbeit geschieht am Küchentisch” Genau da, wo die Menschen leben, und dann entdecken wir manchmal auch ihre Not. Wir müssen gerade wieder als Gemeinde aus dem Gebet heraus, wachwerden für die Nöte, in denen unsere Nächsten leben.
Manchmal habe ich den Eindruck, dass diese Haltung mit wachsendem Wohlstand unter den Christen eher im Abnehmen als im Wachsen ist. Deshalb erinnert uns Jesus ganz deutlich: Seid wachsam, wenn Gott euch Aufgaben zuweist.
Lasst uns nicht in der Fürbitte nachlassen. Indem wir die Not wahrnehmen und vor Gott bringen, helfen wir schon, sie zu lindern. Manchmal reicht es, wenn wir einem Kranken, einem Traurigen, einem Sterbenden das eine Wort Gottes sagen, das er so dringend braucht. Jesus gibt uns einen ganzen Sack voller Hoffnung mit und fordert uns auf: »Tragt mein Wort zu den Menschen!« Trauen wir uns, das einmal jemandem zu sagen: Christus ist für dich das Licht der Welt, der gute Weinstock, das Brot des Lebens, der gute Hirte, die Auferstehung und das Leben! Bringen Sie ihn ins Gespräch!
Und schließlich: Seid wachsam, weil Gott von uns Rechenschaft fordert.
Ein längst vergessenes Kapitel christlichen Lebens möchte ich auch noch wachrufen. Es wird bei den Christen viel zu sehr schnell verdrängt.
Gott fordert am Ende der Zeit Rechenschaft. Die Endzeitgleichnisse von Jesus lassen hier keinen Zweifel offen. Er will uns zum einen wach finden. Das heißt nun nicht, dass wir uns ein nervöses, überspanntes Christenleben angewöhnen. Man kann Gott auch mit einem guten Schlaf ehren. Aber wir sollen mit unserem Leben gefasst sein, dass der Tag anbricht. Für den einen bricht er an mit seinem Sterben, für andere kann es wirklich der wiederkommende Herr sein.
Wachsam bleiben, liebe Gemeinde, das ist für mich bis heute immer die Einladung zu einem persönlichen Glauben. Daran komme ich nicht vorbei. Daran kommen wir alle nicht vorbei.
Amen.