Diakonie und Seelsorge
Schon in der Bibel begegnet sie uns: Die Diakonie ist die mildtätige Lebensäußerung der Gemeinde. Es gehört seit der Urgemeinde dazu, dass neben der Verkündigung auch der Dienst am Anderen, besonders am Hilfsbedürftigen, Bestandteil des christlichen Gemeindelebens ist. Es ist ja auch Jesu Gebot und Auftrag:
Wahrlich, ich sage euch: Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan.
Matthäus 25,40
Im evangelischen Bereich versteht man heute unter dem Begriff Diakonie zuallerst die Arbeit des Diakonischen Werkes. Hier wurde ein großer Teil der diakonischen Arbeit verinstitutionalisiert und findet sich heute im Diakonischen Werk und bei den Johannitern wieder.
Das hat seine Geschichte, die erst einmal richtig und gut und notwendig war. 1849 wurde auf Anregung von Johann Hinrich Wichern der Centralausschußes für die Innere Mission der deutschen evangelischen Kirche gegründet. Es war damit der Beginn der organisierten Diakonie.
Das war eine Antwort auf die gesellschaftlichen Herausforderungen der damaligen Zeit. Da heraus hat sich bis heute das Diakonische Werk als professioneller Wohlfahrtsverband entwickelt.
Zur Unterstützung der Arbeit des Diakonischen Werkes entstanden in den Gemeinden Diakonie- bzw. Hilfsvereine der inneren Mission. Diese Vereine haben Arbeit der Diakonie Vorort mitgetragen. Im Osten wurden sie nach dem Krieg verboten. Sie lebten mancherorts zum Beispiel als Gemeindegruppen wie Frauenhilfe weiter.
Teilweise wurden durch diese Vereine Gemeindeschwestern angestellt, Kindergärten betrieben und später Sozialstationen. Auch im Osten wurden durch die Kirchengemeinden bzw. durch Diakonievereine nach der Wende Kindergärten und Sozialstationen übernommen. Es erfolgte eine immer mehr zunehmende Professionalisierung der Arbeit. Alle Arbeit wurde durch bezahlte Fachkräfte und Spezialisten übernommen. Die Gemeinde selber kam mit ihrem Ehrenamt und ihrem Engagement nur noch am Rand vor. So wurde die Gemeinde immer mehr ausgegrenzt. Die Diakonie entwickelte sich zu einem Selbstläufer.
Das sei an dieser Stelle erst einmal kritiklos gesagt, weil das unter gewissen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen sogar erforderlich und unabdingbar war bzw. ist. So hat die Diakonie aber auch Strukturen neben der Gemeinde entwickelt, die leider teilweise nicht mehr mit der Gemeinde selber kompatibel sind, bis hin zu eigenen Gemeindestrukturen.
Aufgrund neuer Herausforderungen erfährt die eigentliche Gemeindediakonie gegenwärtig sehr viel Defizite. Die bisherige Gemeindediakonie begrenzt sich auf die Diakoniestationen und die Kindergärten. Dabei müssen aber die erbrachten Leistungen abrechenbar sein. So werden aber heute gerade wieder ganz neu Strukturen einer semiprofessionellen Gemeindediakonie benötigt. Früher gab es z.B. mancherorts die Gemeindeschwester. Sie hat sich nicht nur um die gesundheitlichen Belange der Menschen gekümmert, sondern auch um seelsorgerliche Fragen. Das können die Schwestern bzw. Pfleger der Diakoniestationen nur bedingt leisten. Sie müssen sich mehr auf die äußere Pflege konzentrieren. Das erfordert die Abrechenbarkeit ihrer Arbeit. So muss der Faktor Zeit abrechenbar sein. Keine Krankenkasse bezahlt das seelsorgerliche Gespräch – obwohl es manchmal sinnvoll wäre.
In den meisten unserer Gemeinden ist die Gemeindediakonie mittlerweile unterentwickelt. Sie stehen alle vor der Herausforderung dieses wieder neu zu entwickeln. Gemeindediakonie muss wieder eine ganz normale Lebensäußerung der Gemeinde werden, die im Ehrenamt geschieht. Sicher nicht unprofessionell, sondern im Ehrenamt. Unter der Leitung und Führung von hauptamtlichen Mitarbeiten. Wir müssen überhaupt in allen Bereichen unserer gemeindlichen Arbeit immer mehr lernen, die Hauptamtlichen sind nicht da, um die Arbeit zu machen, sondern zu Leiten, zu Motivieren, zu Schulen und Mitzutun. Die Gemeindediakonie ist eine Herausforderung unserer Zeit heute, wie sie es auch gestern war und morgen sein wird.
Wie wird die Zukunft für unserer Gemeinden aussehen?
Egal wie sich unsere gemeindlichen Strukturen ändern, ob wir hauptamtliche Mitarbeiter haben, die Vorort wohnen oder nicht. Es gibt eigentlich zwei Aufgaben, auf die wir uns als Gemeinde zu konzentrieren haben: Mission und Diakonie. Diese beiden Aufgaben lassen sich auch nicht trennen. Sie gehören zusammen, wie zwei Seiten einer Medaille. Es ist ein Gebot der Stunde und eine Herausforderung für die Zukunft es immer wieder in unseren Gemeinden zu sehen, dass Verkündigung und soziale Verantwortung zusammengehören und sich nicht trennen lassen. Der kürzlich verstorbene anglikanische Pfarrer John Stott sagt dazu:
 Soziale Verantwortung ist nicht nur ein Teil von christlicher Mission, sondern auch der christlichen Bekehrung. Es ist unmöglich, wirklich sich zu Gott zu bekehren, ohne sich seinem Nächsten zuzuwenden.
Nur in der ganz persönlichen Hinwendung zum Menschen wird die Verkündigung des Evangeliums wirklich glaubhaft, dass man den Menschen dort abholt, wo er ist. Eben auch und gerade in seiner Not. Das ist nicht nur eine Herausforderung an Einzelne, an Gruppen oder Kreise oder irgendwelche gemeindliche Institutionen, sondern dabei ist die ganze Gemeinde gefordert. Die Diakonie als Wohlfahrtsverband hat auch weiterhin ihre Berechtigung. Sie wird weiterhin neben den Gemeinden existieren. Die Schnittstellen zwischen Gemeinde und die konie sollten verbessert werden. Doch die Diakonie kann und wird die Aufgaben der Gemeindediakonie nicht übernehmen. Sie kann bestenfalls den Gemeinden Hilfestellung leisten. Das sollte sie tun. Aber die eigentliche Gemeindediakonie muss wieder neu in unseren Gemeinden belebt werden.
Die Gemeinde vor Ort steht vor großen Herausforderungen. Das lässt sich schon darin begründen, dass vielerorts derzeit große Umbrüche geschehen:
- aufgrund des sozialen Wandel
- aufgrund des kulturellern Wandel
- aufgrund des struktrurellen Wandel.
So steht sie zukünftig vor neuen Herausforderungen in der Verkündigung, in der sozialen Verantwortung, in der Mission und in der Gemeindediakonie. Sie ist herausgefordert durch
- einen strukturellen Umbau
- einen spiritueller Umbau
- der Änderung ihrer Verkündigungsformen
- Â und vieles mehr.
Sie muss eine Gemeinde sein, die unterwegs ist zu den Menschen, die darauf aus ist, den Menschen zu begegnen. Das bringt neue Aufgaben innerhalb der Gemeindediakonie. Neben den traditionellen Aufgaben wie Besuchsdienst, wird sie ganz neu herausgefordert in der Betreuung von Älteren, in der Begegnung mit Nicht- und Andersgläubigen, im Umgang mit sozial Schwachen und Benachteiligten, im Umgang mit Kindern auch auf den Dörfern und im Umgang mit den Alleingelassenen. Es sind teilweise alte Aufgaben, aber unter neuen Rahmenbedingungen.
Das erzeugt bei manchen Hilflosigkeit und Ängste. Denn Unbekanntes bringt Ängste mit sich, aber als Gemeinde können wir das gemeinsam angehen. Und im Vertrauen auf Gott können wir neue Schritte wagen. Dazu möchte ich Mut machen.