Pfingsten in Gefangenschaft

Briefe von Dietrich Bonhoeffer an seine Eltern

Nun feiern wir also auch Pfingsten noch getrennt, und es ist doch in besonderer Weise ein Fest der Gemeinschaft. Als die Glocken heute früh läuteten, hatte ich große Sehnsucht nach einem Gottesdienst, aber dann habe ich es gemacht wie Johannes auf Patmos und für mich allein einen so schönen Gottesdienst gehalten, daß die Einsamkeit garnicht zu spüren war, so sehr wart Ihr alle, alle dabei und auch die Gemeinden, in denen ich Pfingsten schon gefeiert habe.

Das P. Gerhardt’sche Pfingstlied mit den schönen Versen: „Du bist ein Geist der Freude …“ und „Gib Freudigkeit und Stärke …“ sage ich mir seit gestern Abend alle paar Stunden auf und freue mich daran, dazu die Worte: | „der ist nicht stark, der nicht fest ist in der Not“ (Sprüche 24) und „Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit“ (2 Tim 1).

Die seltsame Geschichte vom „Sprachenwunder“ hat mich auch wieder sehr beschäftigt. Daß die babylonische Sprachenverwirrung, durch die die Menschen einander nicht mehr verstehen können, weil jeder seine eigene Sprache spricht, ein Ende haben und überwunden sein soll durch die Sprache Gottes, die jeder Mensch versteht und durch die allein die Menschen sich auch untereinander wieder verstehen können, und daß die Kirche der Ort sein soll, an dem das geschieht, das sind doch alles sehr große und wichtige Gedanken.

Leibniz hat sich sein Leben lang mit der Idee einer Universalschrift, die nicht in Worten, sondern in evidenten Zeichen alle Begriffe zur Darstellung bringen sollte, herumgeschlagen – ein Ausdruck seines Verlangens, die damals so zerrissene Welt zu heilen –, ein philosophischer Reflex der Pfingstgeschichte.


Bonhoeffer, D. (2015). Widerstand und Ergebung: Briefe und Aufzeichnungen aus der Haft. (C. Gremmels, E. Bethge, R. Bethge, & I. Tödt, Hrsg.) (Sonderausgabe, Bd. 8, S. 99–100). Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus.

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